Monopole, transnationale Konzerne, Imperialismus, Russland

3 Punkte möchte ich thematisieren:

1. Monopole / Finanzkapital – Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen?

2. Monopole und Staaten / transnationale Konzerne, „Finanzmarktkapitalismus“.

3. Russland im imperialistischen Weltsystem

Teil 1: Monopole und Finanzkapital

“Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“ ist der letzte Abschnitt des vorletzten Kapitels im Kapital, Band 1 überschrieben.[1] Marx skizziert dort 3 große Stadien der kapitalistischen Warenproduktion: die einfache Warenproduktion, die große Industrie und den Prozess der Konzentration und Zentralisation des Kapitals in immer weniger Händen.

Sie unterscheiden sich im Grad der Vergesellschaftung der Produktion. Der Vergesellschaftungsprozess ist im Kapitalismus immer zugleich Enteignungsprozess, der mit der Enteignung der Kleinproduzenten der einfachen Warenproduktion beginnt. In seinem Verlauf wird auch die Arbeitskraft zur Ware. Es entsteht die Klasse der Lohnarbeiter, die fähig ist, die „Expropriation der Expropriateure“ (Enteignung der Enteigner) durch die sozialistische Revolution zu vollziehen.

Im Kapitalismus erfolgt die Vergesellschaftung unter dem Kommando des Kapitals, im Zuge der Konkurrenz unter den Privateigentümern an den Produktionsmitteln. Die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit geschieht über den Markt. Dabei kommt es zum Widerspruch zwischen der Planung im Unternehmen auf der einen und der Anarchie in der Gesellschaft auf der anderen Seite, zu Disproportionen und zu zyklischen Krisen. Das Gleichgewicht zwischen den Sektoren stellt sich „hinter dem Rücken der Beteiligten her“ (Marx).

Vergesellschaftung bedeutet die Entfaltung der gesellschaftlichen Potenzen der Arbeit. Diese erscheinen im Kapitalismus als „Potenzen des Kapitals“, wie Marx einmal formuliert. Der Kapitalismus fördert die Vergesellschaftung und beschränkt sie zugleich durch das Privateigentum. Der Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung entwickelt sich. Solange der Grundwiderspruch nicht durch den Sozialismus gelöst ist, findet die Bourgeoisie systemimmanente Lösungen, die die Schranken, die das Privateigentum der Vergesellschaftung auferlegt, hinausschieben. Solche Lösungen heben den Grundwiderspruch nicht auf, sondern reproduzieren ihn auf höherer Stufe. Damit komme ich zu den Monopolen:

Die Konkurrenz führt zur Konzentration und Zentralisation. Es entstehen Großbetriebe, die die Kapitalmobilisierungsfähigkeit des Einzelkapitalisten überfordern. Die Bourgeoisie löst das mittels der Gründung von Aktiengesellschaften. Marx sah in der Aktiengesellschaft „die Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst.“ Damit geht einher die „Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremden Kapitals, und der Kapitaleigentümer in … bloße Geldkapitalisten“, die den „Profit nur noch in der Form des Zinses“ beziehen. Diese Trennung von Eigentum und Funktion führt nach Marx zur Herausbildung einer neuen „Finanzaristokratie“ aus „Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren“, was „ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel“ einschließt.[2]

Um 1900 setzten sich auf breiter Front Monopole durch. Monopole sind markt- und produktionsbeherrschende Großunternehmen. Der marxistische Ökonom Robert Katzenstein definierte Monopole als „Produkt der Erhöhung des Vergesellschaftungsgrads der Produktion, die notwendig zur Beherrschung bestimmter Zusammenhänge des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses führt und dadurch die Aneignung von Monopolprofit ermöglicht.“[3] Eine solche Beherrschung von Zusammenhängen heißt auch mehr Planbarkeit, aber nur im Unternehmen oder der Unternehmensgruppe, ohne die Anarchie in der gesamten Gesellschaft aufzuheben.

In der Gesellschaft herrschen verschiedene Formen der Konkurrenz nebeneinander: die monopolistische Konkurrenz (zwischen Monopolen, innerhalb von Monopolen um die Macht im Unternehmen und als Konkurrenz gegen kleine und mittlere Unternehmen KMU). Daneben existiert weiterhin als „Unterbau“ der Monopole die freie Konkurrenz zwischen den KMU, wenn auch verzerrt durch den Monopolüberbau.[4] Die Konkurrenz verschwindet also im Monopolkapitalismus nicht, aber sie verändert sich. Die Bereinigungsfunktion der zyklischen Krisen nimmt dabei ab.

Während im Kapitalismus der freien Konkurrenz das regelmäßige Entstehen von Überakkumulation in den zyklischen Krisen ausreichend abgebaut werden konnte, kommt es im Monopolkapitalismus zu chronischer Überakkumulation.[5] Dieser ständige Kapitalüberschuss gilt den marxistischen Imperialismustheorien als Basis für zunehmende Kapitalexporte, für die Internationalisierung der Produktion durch ausländische Direktinvestitionen (ADI), für den Imperialismus und imperialistische Kriege. Im Zuge all dessen wächst natürlich auch die Rolle des Staates. Schon Marx sagte, das Monopol fordere die Staatseinmischung heraus.

Mit den Monopolen entsteht das moderne Finanzkapital. Eine knappe Definition Lenins lautet: „Konzentration der Produktion, daraus erwachsende Monopole, Verschmelzen oder Verwachsen der Banken mit der Industrie – das ist die Entstehungsgeschichte des Finanzkapitals und der Inhalt dieses Begriffs.“[6] Die Formen der Verschmelzung oder des Verwachsens sind dabei vielfältig: Kredite, direkte Firmenbeteiligungen von Banken und Versicherungen, von Milliardären, Fonds und Investmentgesellschaften oder auch Staatsbeteiligungen waren und sind übliche Formen. Zugleich bildet sich die Personalunion der Finanziers und Industriellen in den Aufsichtsgremien der Konzerne, die Finanzoligarchie.

Käufer von Aktien, Anleihen und anderen Wertpapieren erwerben Ansprüche an die Produktion künftigen Mehrwerts. Diese Ansprüche sind als fiktives Kapital handelbar und Gegenstand der Spekulation. Da die Produktion diese Ansprüche letztlich einlösen muss, sollen sie sich nicht in Luft auflösen, ist die Abhängigkeit zwischen Finanzsektor und Produktion eine wechselseitige! Das gilt auch für den heutigen hypertrophen Finanzsektor. Beispiel: Verhängt eine Großstadt in China einen Lockdown, sinken an den Börsen die Aktienkurse.

„Imperialismus ist monopolistischer Kapitalismus“ war Lenins Kurzdefinition. Das Schlusskapitel seiner Imperialismusbroschüre hat den Titel: Der Platz des Imperialismus in der Geschichte. Er bezeichnet dort den monopolistischen Kapitalismus als „höchstes Stadium des Kapitalismus“, als „sterbenden Kapitalismus“, der „Züge einer Übergangsgesellschaft“ trage. Auch hier geht es um das Niveau der Vergesellschaftung. Monopolkapitalismus ist das unter privatkapitalistischen Bedingungen höchstmögliche Niveau der Vergesellschaftung der Produktion. Lenin und andere damalige Marxisten erwarteten, die privatkapitalistische Hülle der Vergesellschaftung werde in naher Zukunft weltweit durch sozialistische Revolutionen gesprengt werden.

Doch die politischen Kräfteverhältnisse im Klassenkampf entwickelten sich anders. Das monopolkapitalistische Stadium umfasst inzwischen mehr als 100 Jahre. Innerhalb dieses Stadiums wird heute gewöhnlich zwischen folgenden Phasen unterschieden: (1) 1900-1945 klassischer Imperialismus; (2) 1945-1975 die „30 goldenen Jahre“ des Kapitalismus („Fordismus“, Systemkonkurrenz, Zusammenbruch des Kolonialsystems); (3) im Gefolge der Krise 1974-75 die Phase des Neoliberalismus.

Zur Phase des Neoliberalismus: Im Gefolge der Krise 1974/75 suchten die Bourgeoisien den Ausweg aus einer Profitklemme in Schritten einer grundlegenden „Gegenreform“ mit dem Ziel, Errungenschaften der Arbeiterklasse aus den „30 goldenen Jahren“ zu entsorgen und das Kräfteverhältnis zugunsten der Bourgeoisien zu verändern. Charakteristika des Neoliberalismus sind Deregulierung, Privatisierung, Umverteilung von unten nach oben. Dazu gehörte die „Entfesselung der Finanzmärkte“ oder der „Finanzmarktkapitalismus“. Von 1980 bis 2007 wuchs der Finanzsektor 4-mal so schnell wie die Realwirtschaft. Seine Aufblähung mündete in die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008.[7]

Von der Entfesselung der Finanzmärkte geht eine disziplinierende Wirkung aus: auf die Produktion (Investoren machen Druck für die Profitsteigerung) und auf die Staaten (hohe Zinsen erzeugen Spardruck bei Ausgaben für Soziales, Ökologie, Infrastruktur, etc.). Beides ist politisch gewollt und wird durch neoliberale Politik möglich gemacht. Die destabilisierende Wirkung des aufgeblähten Finanzsektors (Blasen, die platzen können) nehmen die Herrschenden in Kauf. Ihr steht die nahezu unbegrenzte Fähigkeit des Finanzmarkts zur Mobilisierung und Zentralisierung von Kapital gegenüber und dieses brauchen die transnational agierenden Konzerne im Konkurrenzkampf, beispielsweise wenn es um Fusionen und Übernahmen geht.

Zur Trennung von Eigentum und Funktion im „Finanzmarktkapitalismus“: Die meisten transnationalen Konzerne (TNKs) sind Aktiengesellschaften. Ihre Aktien werden an den Börsen gehandelt und können von Personen, Publikumsfonds und diversen anderen Investmentvehikeln erworben werden. Trotz Tausenden von Aktionären sind die Machtverhältnisse in den TNKs relativ stabil. Sind Großaktionäre vorhanden („Unternehmerdynastie“, Staat, Muttergesellschaft), haben diese die Macht, das Management ein- oder abzusetzen. Sie sind „kontrollierende Eigentümer“. Kontrolle definiert sich durch diese Macht. Bei Aktiengesellschaften in Streubesitz kontrollieren sich die Spitzenmanager verschiedener Konzerne über die Aufsichtsräte gegenseitig. Da die meisten Aktionäre den Hauptversammlungen fernbleiben und Entscheidungen den Profis überlassen, kommt es zur „Oligarchisierung“ der Kontrolle.

Welche Rolle spielen Investoren wie Blackrock? Sie machen Druck für die Mehrwerterhöhung und fungieren damit als „Profitabilitätsbeschleuniger“, zum Nutzen aller Großaktionäre. Druckmittel der Fonds ist die Drohung mit dem Verkauf ihrer Anteile, wodurch der Aktienkurs sinken würde. Konzernmanager pflegen daher „Investors Relations“ und konsultieren größere Anteilshalter vor wichtigen Entscheidungen. Zudem gibt es rechtliche Sicherungen. Das Wertpapierhandelsgesetz schreibt Investoren zahlreiche Melde- und Erklärungspflichten vor.[8] Protektionistische Hürden und staatliche Genehmigungspflichten für ausländische Investoren in immer mehr „sicherheitsrelevanten“ Bereichen richten sich heute vor allem gegen China.

Teil 2: Monopole und Staaten:

Staaten entstanden mit der Herausbildung von Klassengesellschaften, der moderne Nationalstaat im Zuge der Herausbildung des Kapitalismus. Staaten sind Teil des gesellschaftlichen Strukturgefüges (Formation). Der Charakter einer Formation ist nicht allein aus ihrer ökonomischen Basis ableitbar, wie auch nicht allein aus dem Überbau. Mit zunehmender Vergesellschaftung nimmt die Rolle der Staaten national und international zu: für die Regulierung und Krisenbewältigung, für die internationale Konkurrenz und Kooperation, für die Expansion, für Militarisierung und Kriege.

Die Hauptform der Monopole sind heute die transnationalen Konzerne (TNKs). Die UNCTAD definierte sie als Konzerne, die mindestens 10% Anteile oder Stimmrechte an mindestens einem Konzern im Ausland besitzen, das sind meist Filialen des Mutterkonzerns. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der TNKs soll am Beispiel der BRD verdeutlicht werden. 2020 gab es in der BRD 3,4 Millionen Unternehmen. 99,3 Prozent davon waren kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die ein Drittel aller Umsätze erwirtschafteten. Bei 0,7 Prozent handelte es sich um 23309 Großkonzerne, die zwei Drittel der Umsätze erbrachten. Sie agieren in der Regel transnational.

Ähnlich groß ist die Bedeutung der TNKs für die Weltwirtschaft. Etwa ein Drittel des Welthandels ist Intrakonzernhandel, d.h., er findet innerhalb der TNKs statt. 80 Prozent des Welthandels findet innerhalb globaler Wertschöpfungsketten (GVC = global value chains) statt. Diese bestehen aus einem führenden TNK, der die Standards vorgibt, und kooperierenden TNKs und KMU als Netzwerkunternehmen. Die führenden TNKs vergeben auch Kredite an die Netzwerkunternehmen der GVC und wurden so zu einer wesentlichen Form des heutigen Finanzkapitals.[9]

Die Verteilung der größten TNKs auf die Länder der Erde ist äußerst ungleichmäßig. Das US-Magazin Fortune publiziert jährlich die Liste der nach Umsätzen TOP 500 global. 2022 sind von 195 Ländern der UN nur 37 mit einem Konzern auf der Liste vertreten, davon 14 mit einem einzigen TNK (oft einem privatisierten Energieversorger). Mehr als drei Fünftel der TOP 500 kamen 2012 aus den G7-Staaten.[10] Betrachtet man die Entwicklung von 1980 bis 2022, so ist ein Abstieg der USA von 217 (1980) auf 124 (2022) und ein Aufstieg der VR China von 0 (1980) auf 136 (2022) klar erkennbar. Japan (47), Frankreich (25), Deutschland (28) verzeichnen im gleichen Zeitraum eine leichte Abnahme, Großbritanniens TNKs nehmen von 52 auf 15 ab.[11] Ihr Bündnis-Umfeld (USA, EU, NATO) stellt 2022 noch drei Fünftel (303).

Angesichts dessen kann sehr wohl immer noch von den klassischen „imperialistischen Hauptmächten“ oder, wie Lenin sagt, von einer „Handvoll Großmächte“, die die Welt beherrschen, die Rede sein, die sich um die G7 und die NATO scharen. Die einzige ökonomisch aufgestiegene Großmacht, die ihnen ökonomisch Paroli bieten kann, ist bisher China. Andere BRICS-Staaten erreichen im günstigen Fall die gleiche Anzahl von TNKs unter den TOP 500 wie etwa Spanien oder Italien: Indien stellt 8, Brasilien 6, Russland 4, Südafrika keinen TNK auf der Liste. Von der politischen, finanziellen und militärischen Stärke sehen wir hier ab.

China entwickelte sich vom Entwicklungsland zu einer ökonomisch starken Macht. Es gelang China, die Globalisierung (internationale Vergesellschaftung der Produktion) zu nutzen, um in den globalen Wertschöpfungsketten meist westlicher Konzerne von der low end zur high end Produktion aufzusteigen. Einen Technologietransfer für den Aufbau eigener hochwertiger Produktion zu nutzen, setzt staatliche Souveränität und eine Politik voraus, die auf Entwicklung und Wohlstandvermehrung des eigenen Landes zielt. Sie setzt Kapitalverkehrskontrollen und planmäßige Investitionen in Infrastruktur, Gesundheitswesen, Bildung, Forschung, Verkehr, etc. voraus.

3. Russland im imperialistischen Weltsystem und der Ukrainekrieg

Geht man allein nach der ökonomischen Struktur, ist Russland ein monopolkapitalistisches und (nach Lenins Kurzdefinition) ein imperialistisches Land. 2020 sind unter den TOP 500 vier Monopole der Russischen Föderation: Gazprom (staatliche Mehrheit), Lukoil (in Streubesitz), Rosneft (staatliche Mehrheit), die Sberbank (staatliche Mehrheit). Es gibt in der RF Privateigentum an wesentlichen Produktionsmitteln, Monopole mit Auslandstöchtern, Kapitalexport (inklusive Kapitalflucht). Konzerne wie Gazprom oder Rosneft hatten bis vor Kurzem Auslandstöchter auch in der BRD. Bei dem Reisekonzern TUI war lange Zeit der Oligarch Mordaschow Großaktionär.

Allerdings reduzierten die Sanktionen ab 2014 die finanzkapitalistischen Verflechtungen zwischen Russland und dem Westen drastisch. Die US- und EU-Sanktionen von 2022 sind geeignet, die Reste noch vorhandener ökonomischer Bande zu kappen. Die Gazprom- und Rosneft-Töchter in der BRD wurden verstaatlicht. TUI-Großaktionär Mordaschow überschrieb kurz vor Inkrafttreten der Sanktionen sein Aktienpaket einer auf den Britischen Jungferninseln angesiedelten Investmentgesellschaft seiner Ehefrau, die um die Anteile prozessiert. Westliche Firmen wie McDonalds, Starbucks, Siemens, Renault, BP, etc. leiteten den Abzug ihrer Investitionen aus Russland ein.

In der ökonomischen Struktur gibt es zugleich Besonderheiten, die den russischen Monopolkapitalismus von den imperialistischen Hauptländern unterscheiden: Der Staatsanteil in der Wirtschaft ist relativ hoch. Die oligarchische Bourgeoisie ist nicht historisch gewachsen, wie die „Unternehmerdynastien“ des Westens, sondern entstand im Zuge der Konterrevolution und neoliberaler Privatisierungen aus Teilen des Wirtschafts- und Staatsapparats, der Expertokratie und der politischen Klasse.

Russlands Stellung in der internationalen Arbeitsteilung ist überwiegend die eines Rohstoffproduzenten. Die Industrie ist außerhalb des Militär-Industrie-Komplexes wenig entwickelt. Die Monopolbourgeoisien der imperialistischen Hauptländer wollen den Status Russlands auf die Rolle eines Rohstofflieferanten und Absatzmarkts für ihre Waren reduzieren. Daraus ergeben sich eine Reihe gemeinsamer objektiver Interessen Russlands mit aufstrebenden Entwicklungsländern gegenüber westlicher Hegemonie und Neokolonialismus. Russland gehört den BRICS und der OPEC+ an. Es pflegt gute Beziehungen zu vielen Ländern Afrikas und Lateinamerikas.

Dazu gibt es historische Besonderheiten im politisch-kulturellen Überbau: Die Russische Föderation ist ein „postsozialistisches“ Land, dessen Nationalbewusstsein durch die Erfolge der UdSSR und den siegreichen Verteidigungskrieg gegen Hitlerdeutschland mitgeprägt wurde. Russland erbte von der UdSSR Bündnisbeziehungen und zum Teil auch Bündnispflichten gegenüber dem globalen Süden und zu Ländern mit sozialistischer Orientierung. Die RF unterstützt Kuba, Venezuela, Nicaragua. Im Zentrum der russischen Außenpolitik steht das Ziel der Ablösung der US-Hegemonie durch eine multipolare Weltordnung, die mehr Demokratie und nationale Souveränität statt Bevormundung in den Beziehungen zwischen Staaten ermöglichen würde.

Im Unterschied zu den meisten anderen „postsozialistischen“ Ländern ist in Russland die kommunistische Partei nicht verboten. Obwohl die KPRF und andere linke Kräfte Repressalien ausgesetzt sind und es bei Wahlen zu Fälschungen kommt, sagt das etwas über die politisch-ideologischen Kräfteverhältnisse im Land aus.

In Diskussionen über den Russland-Ukraine-Krieg wird manchmal argumentiert, die russische Regierung nutze positive Bezüge auf die Geschichte der UdSSR zur „Tarnung heutiger imperialistischer Interessen“ Russlands. Dieses Argument verkennt, dass historische Ereignisse wie die Oktoberrevolution und der Große Vaterländische Krieg reale Erfahrungen der russischen Bevölkerung sind. Solche Erfahrungen prägen den Nationalcharakter, so, wie etwa die Französische Revolution die Franzosen geprägt hat, die bis heute kämpferischer sind als die Deutschen.

Wie in allen kapitalistischen Ländern gibt es im geistigen Leben Russlands Elemente demokratischer und Elemente reaktionärer Nationalkultur. Putins Polemiken gegen die Oktoberrevolution, gegen den Austritt aus dem ersten Weltkrieg, gegen die Bolschewiki und Lenins Nationalitätenpolitik zeugen von einem großen Nichtverstehen der revolutionär-demokratischen Traditionen Russlands.[12] Putin hält die Religionen und die konservativen „traditionellen Werte“ hoch, die er dem „westlichen Liberalismus“ entgegenstellt. Konservatismus ist nur eine andere Variante monopolkapitalistischer Ideologie, aber keine Alternative zu Liberalismus und Neoliberalismus.

Andererseits bezieht sich Putin positiv auf den großen vaterländischen Krieg der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland und auf die Hilfe der UdSSR für den antikolonialen Befreiungskampf. Nationalismus ist nicht gleich Nationalismus. Es gilt durchaus, zu differenzieren. Der heutige russische Nationalismus bezieht sich positiv auf den Sieg der UdSSR über den Hitlerfaschismus. Der heutige ukrainische Nationalismus feiert Kollaborateure des Hitlerfaschismus wie Stepan Bandera als Helden, leugnet ihre Mitverantwortung für den Holocaust. Im Unterschied zum Nationalbewusstsein ist jeder Nationalismus kritisch zu sehen. Die größte Gefahr geht aber von einem Nationalismus aus, der den Nazismus in Geschichte und Gegenwart als „Normalität“ verharmlost und ein antifaschistisches Geschichtsbild grundlegend revidieren will.

Zur Frage imperialistischer Bündnisse oder Blöcke: Die meisten G7-Staaten bestehen aus einstigen Kolonialmächten und sind seit über 100 Jahren kapitalistische Hauptmächte. Sie bildeten 1945-1990 unter Führung der USA die NATO, um den Sozialismus in der Welt einzudämmen. Ihren Sieg im Kalten Krieg betrachten sie als Ziel und Ende der Geschichte. Ziel der US-Strategie ist der Erhalt der 1990 entstandenen unipolaren Weltordnung unter ihrer Führung. Die EU will „Multilateralismus“, versteht darunter aber nur „Augenhöhe“ mit den USA in der „Wertegemeinschaft“.

Bei den G7-8 durfte das postsozialistische Russland am Katzentisch dabei sein, wurde aber bald „verstoßen“. Zum einen, weil Putin den Ausverkauf der Reichtümer des Landes an das internationale Monopolkapital bremste und zu einer Politik der nationalen Souveränität und einer eigenständigen Entwicklung überging. Zum anderen gehört es zur geopolitischen Strategie der USA, auf dem eurasischen Kontinent keinen Gegner stark werden zu lassen, der die US-geführte Unipolarität bedrohten könnte. Das „Feindbild Russland“ wurde vor der Krim-Sezession wiederbelebt.[13]

Der Versuch der Integration Chinas in das imperialistische Weltsystem scheiterte ebenfalls. Das Grundsatzpapier des BDI zum Umgang mit China vom Januar 2019 beschreibt dies aus der Sicht der Monopolbourgeoisie:

„Lange sah es so aus, als würde sich China durch die Integration in die Weltwirtschaft bei der Ausgestaltung seines Wirtschaftssystems allmählich auf die liberalen, offenen Marktwirtschaften westlichen Musters zubewegen. Diese Konvergenzthese ist nicht mehr haltbar. China … ist im Begriff, sein eigenes politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Modell zu verwirklichen. Gleichzeitig prägt China als aufstrebende Wirtschaftsmacht andere Märkte und auch die internationale Wirtschaftsordnung. Das chinesische Modell einer Wirtschaft mit stark lenkendem staatlichen Einfluss tritt damit in einen systemischen Wettbewerb zu liberalen Marktwirtschaften.“[14]

Heute sehen die Bourgeoisien des Westens China als Systemkonkurrenz. Trumps Feldzüge gegen chinesische High-Tech-Firmen wie Huawei und ZTE, zunehmende Tendenzen des Protektionismus, immer mehr Sanktionen, die nicht mehr abreißende „Entkoppelungsdiskussion“ haben inzwischen bewirkt, dass die Globalisierung (die internationale Vergesellschaftung) an Tempo verlor. Die Coronakrise verstärkte den Trend zum „reshoring“. Die Gefahr der Fragmentierung der Weltwirtschaft geht aber hauptsächlich von der ausufernden US- und EU-Sanktionspolitik aus.

Steht der NATO ein konkurrierendes imperialistisches Bündnis gegenüber? Es gibt viele Zusammenschlüsse: Die 2001 gegründete Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOC)[15] hat die regionale Stabilität zum Ziel. Die 2009 gegründeten BRICS[16] schufen mit einer eigenen Entwicklungsbank und einem Reservefonds Alternativen zu US-beherrschten Institutionen wie IWF und Weltbank und deren neoliberalen Schocktherapien. In der UNO schlossen etwa 40 Länder ein Bündnis gegen die US- und EU Sanktionspolitik.[17] Das sind alles keine imperialistischen Bündnisse. Weder verfügen sie über eine Militärdoktrin, wie die NATO, noch erstreben sie eine Blockbildung. Selbst ein NATO-Land wie die Türkei möchte der SOC beitreten.

China und Russland wenden sich explizit gegen eine Blockbildung und/oder eine Neuauflage des Kalten Krieges. Sie fordern friedliche Koexistenz und internationale Kooperation. Putin bezeichnet den Übergang zur Multipolarität als einen objektiven Prozess, der längst stattfinde. Xi sieht die Globalisierung als eine „objektive Tendenz der Produktivkraftentwicklung“. Dagegen bauen die in der US-Außenpolitik einflussreichen Neocons Russland und China als Feindbilder auf, drängen auf „Entkoppelung“ und ständig neue Spannungen. Sie versuchen, um die G7 und die NATO herum einen Block angeblicher „Demokratien gegen Autokratien“ zu schmieden.

Die von USA und EU ökonomisch abhängige Ukraine wurde seit 2014 systematisch für einen Proxykrieg der NATO gegen Russland militarisiert. Ziel ist, Russland zu ruinieren. Gegen die NATO führt Russland einen Verteidigungskrieg.[18] Nach dem vom Rechten Sektor getragenen und von den USA unterstützten Maidan-Coup bildeten sich die Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Sie führen seit 2014 einen Abwehrkampf gegen die von Faschisten durchdrungene ukrainische Armee, für ihr legitimes Selbstbestimmungsrecht. Dafür baten sie Russland um militärischen Beistand.

Es ist immer problematisch, anstelle einer konkreten Analyse, zur Beurteilung eines Krieges das Schema eines früheren Krieges heranzuziehen. Das passiert, wenn der NATO-Russland-Konflikt nach dem Schema des ersten Weltkriegs interpretiert wird, in dem sich zwei etwa gleich starke imperialistische Bündnisse gegenüberstanden. Im Ukrainekrieg ist das nicht der Fall. Lenin warnte 1916 davor, „die Einschätzung des jetzigen Krieges auf alle im Imperialismus möglichen Kriege [zu] übertragen und die nationalen Bewegungen gegen den Imperialismus [zu] vergessen.“[19]

Wie recht er hatte, zeigte sich im zweiten Weltkrieg, als die Kommunistische Internationale einschätzte, dass von Hitlerdeutschland und Japan die Hauptgefahr für die Menschheit ausging, weshalb die Kommunistische Internationale die Anti-Hitler-Koalition unterstützte, die aus der Sowjetunion und aus imperialistischen Ländern bestand. Im Inneren der kapitalistischen Länder entsprach dem die Volksfrontpolitik.

Auch heute legen die Kräfteverhältnisse im Klassenkampf nahe, Differenzierungen und Risse im Lager des Gegners zu beachten und zu nutzen, um die Verhältnisse zu beeinflussen. Die Hauptgefahr geht heute vom Versuch der USA und der NATO aus, den Niedergang ihrer Dominanz in der Welt aufzuhalten, mit ökonomischer und militärischer Destruktionspolitik, mit Sanktionen, Regime Changes, durch das Anheizen von Spannungen und durch Kriege, die den dritten Weltkrieg riskieren.

schriftliche Fassung des Referats von Beate Landefeld in der AG “Monopolkapital, Finanzkapital, transnationales Kapital?” auf dem Kommunismus-Kongress am 24.9.2022


[1] MEW 23, S. 789ff.

[2] MEW 25, S. 452

[3] Robert Katzenstein, Zur Frage des Monopols […], in: Argument Sonderband 6-1975, S. 95ff.

[4] „Nirgendwo in der Welt hat der Monopolkapitalismus ohne freie Konkurrenz in einer ganzen Reihe von Wirtschaftszweigen existiert und wird er je existieren […] Sagte Marx von der Manufaktur, sie sei ein Überbau über der massenhaften Kleinproduktion gewesen, so sind Imperialismus und Finanzkapitalismus ein Überbau über dem alten Kapitalismus.“ Lenin zu Bucharin in der Programmdebatte 1919.

[5] Überakkumulation: Mehr Kapital wird produziert als sich (im Inland) profitabel verwerten lässt. Überakkumulation ist „Überproduktion von Kapital” und „heißt nie etwas anderes als Überproduktion von Produktionsmitteln, Arbeits- und Lebensmitteln, die als Kapital fungieren können.” (MEW 25, S. 261f.)

[6] LW 22, S. 230

[7] EU: Finanzsektor wuchs 1999-2021 doppelt so schnell wie Realwirtschaft.

[8] Schwellenwerte WpHG bei 3, 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 und 75 Prozent. Bei 10% muss Investor angeben, ob er „ein langfristiges strategisches Engagement“ oder nur kurzfristige Gewinne anstrebt.

[9] Michael R. Krätke, Globale Wertschöpfungsketten, spw 4-2013, S. 13ff.

[10] USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada

[11] Vgl. Tabelle Ungleichmäßigkeit auf meiner Webseite https://belafix.wordpress.com/

[12] Vgl. dazu: Willi Gerns, Putin contra Lenin, Unsere Zeit, 29.1.2016

[13] Ablesbar an der Studie der SWP und des GMF „Neue Macht – neue Verantwortung“ (2013)

[14] BDI-Grundsatzpapier zu China (2019), S. 3.

[15] China, RUS, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Indien, Pakistan, Iran.

[16] Brasilien, Russland, Indien, Südafrika

[17] Kuba, Nicaragua, Venezuela, Nordkorea, Iran, Russland, etc.

[18] Zur Bestimmung des Charakters von Kriegen vgl.: Hans Peter Brenner, Umstrittene Normative der Geschichtsschreibung, Marxistische Blätter 5-2022, S. 62ff., S. 70

[19] W. I. Lenin, Über die „Junius“-Broschüre, 2016, in: LW 22, S. 314

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