Eigentums- und Machtverhältnisse bei Daimler, BMW und VW

Von Beate Landefeld

Von ehemals vielen deutschen Autoherstellern blieben drei, Daimler, BMW und VW übrig. Die drei sind Weltkonzerne. Nach der Liste Fortune Global 500 für 2018 ist VW der weltweit siebtgrößte Konzern überhaupt und der zweitgrößte Autokonzern nach Toyota. Daimler belegt in der Branche den 3. Platz, den 16. bei allen Konzernen. BMW hat Platz 8 bei den Autokonzernen und Platz 51 bei allen Konzernen, vor Siemens (Platz 66). Daimler, BMW und VW überlebten andere Hersteller, indem sie sich diese im Verlauf von 130 Jahren Konzentration und Zentralisation einverleibten, sofern nicht ein großer US-Monopolist ihnen zuvorkam, wie 1929 General Motors im Fall der Opel AG. Schon in den 1950er und 1960er Jahren eröffneten Daimler-Benz, BMW, VW Filialen in den USA, Lateinamerika, Südafrika. Die Schaffung des EU-Binnenmarkts und die als „Globalisierung“ verklärte, gegenseitige Marktöffnung für die monopolistische Konkurrenz in den 1990er Jahren machten die Bahn frei für Übernahmen in West- und Südeuropa. Chinas Öffnung 1978 und der Fall der Mauer 1989 ebneten den Weg für Joint Ventures und Investitionen in Osteuropa und Asien.[1]

Unter den 32 deutschen Konzernen, die zu den 500 größten der Welt zählen, sind zudem große Zulieferer, wie Bosch, Continental, ZF Friedrichshafen. In Deutschland belegen VW, Daimler, BMW nach Umsätzen die ersten drei Plätze. All das verweist auf die überragende Bedeutung der Autoindustrie für die deutsche Volkswirtschaft. Während in anderen europäischen Ländern das Gewicht der Autoindustrie zurückging, stieg in der BRD von 2005 bis 2015 ihr Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung von 3,4 auf 4,5 Prozent, innerhalb des verarbeitenden Gewerbes sogar von 15 auf 19,6 Prozent, erarbeitet von 871000 Beschäftigten.[2] Eine Branche dieser Größenordnung genießt von vornherein besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge des Staates. Ohnehin war die Staatsnähe von Daimler, BMW und VW in Geschichte und Gegenwart groß, egal, ob es um den Einsatz des Staates für möglichst günstige Bedingungen der internationalen Expansion ging, um Rüstungsproduktion für zwei Weltkriege oder um das Wirtschaftswunder und die Remilitarisierung nach 1945.

Daimler und BMW waren stets in Privateigentum, VW bis 1960 in Staatseigentum. Die Eigentümerstruktur der drei spiegelt die generelle Zusammensetzung der herrschenden Klasse der Bundesrepublik Deutschland, das Mit- und Nebeneinander von großen Privateigentümern, privaten Managern und staatlichen Beauftragten.[3] Bei BMW und VW erwarben im Lauf der Zeit sogenannte „Unternehmerdynastien“ kontrollierende Mehrheiten in den Muttergesellschaften. An VW ist der Staat, vertreten durch das Land Niedersachsen, weiterhin beteiligt und gelten besondere Mitbestimmungsrechte. Bei Daimler war über längere Zeiten die Deutsche Bank Großaktionär und überwiegt heute der Streubesitz. Die Entwicklung der Eigentums- und Kontrollverhältnisse bei Daimler, BMW, VW soll hier näher betrachtet werden.

Daimler

Die Daimler AG entstand aus der 1883 von Carl Benz gegründeten Benz & Cie. und der 1890 von Gottlieb Daimler gegründeten Daimler Motoren Gesellschaft. Daimler und Benz schieden um 1900 aus ihren Firmen aus. Die beiden Firmen vermarkteten ihre Patente und Produkte von Anfang an international, tätigten Zukäufe, gründeten Tochtergesellschaften. Neben PKW stellten sie Nutzfahrzeuge, Boots- und Flugmotoren her. Im ersten Weltkrieg rückte die Rüstungsproduktion ins Zentrum. Daimler baute den ersten deutschen Panzer und gehörte zu den größten Flugmotorenherstellern des Reichs. 1926 fusionierten die beiden Betriebe unter Federführung der Deutschen Bank zur Daimler-Benz AG. Danach wurden die Aufsichtsratsvorsitzenden, die das Management ein- oder absetzen können, von der Deutschen Bank ausgewählt.

1932 war die Daimler-Benz AG nach der Adam Opel AG und der Auto Union[4] drittgrößter Automobilproduzent in Deutschland. Emil Georg von Stauß als Aufsichtsratsvorsitzender 1926-1942 unterstützte den Aufstieg der Nazis. Während der Weltwirtschaftskrise kam es zu Massenentlassungen. Hitlers Aufrüstungsprogramm und seine Pläne der Massenmotorisierung kurbelten dann die Rüstungsproduktion erneut an. Der Konzernumsatz wuchs von 65 Millionen Reichsmark im Jahr 1932 auf 942 Millionen 1943. Im Jahr 1941 machten Wehrmachtsaufträge 76 Prozent des Umsatzes aus. Die Belegschaft wuchs von 10000 Ende 1932 auf über 74000 im Jahr 1944. Während des zweiten Weltkriegs bestand die Belegschaft bis zur Hälfte aus Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen. Mit der Kriegsniederlage des Reichs musste Daimler Benz seine Werke im Osten Deutschlands und in den vom Hitlerfaschismus besetzten Ländern aufgeben (u.a. in Polen, SU, Tschechoslowakei, Elsass).[5]

Nach 1945 feierte der Konzern wieder Erfolge in der Autoproduktion, vor allem mit der Marke Mercedes. Er baute ein internationales Vertriebsnetz auf, errichtete Werke in Argentinien, Brasilien, Indien, Südafrika, Iran und den USA. Dass die Filiale in Argentinien mit Wissen Ludwig Erhards Nazi-Gelder wusch und Adolf Eichmann, wie zahlreiche andere untergetauchte Nazis, beschäftigte, enthüllte 2004 die Journalistin Gaby Weber.[6] In der Bundesrepublik übernahm Daimler-Benz Hanomag und die in Ingolstadt neu angesiedelte Auto Union (inklusive der in den Westen übergesiedelten Fachkräfte). 1958 scheiterte der Versuch, BMW zu übernehmen. In den 1960er Jahren stellten die Milliardäre Herbert Quandt und Friedrich Flick gemeinsam mit der Deutschen Bank das Dreigestirn der Daimler-Großaktionäre, bis Quandt und Flick ab 1974 ihre Anteile an Kuwait und an die Deutsche Bank verkauften.[7]

1987 wurde Edzard Reuter Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG. Sein Traum war der „integrierte Technologiekonzern“. Er erwarb Teile von MAN, den Luft- und Raumfahrtkonzern Dornier, die AEG, die Mehrheit an Messerschmidt-Bölkow-Blohm und bildete daraus die Deutsche Aerospace Aktiengesellschaft DASA. Dabei gingen 16000 Arbeitsplätze verloren. Nach 1989 schluckte die DASA die Flugzeugwerke der DDR. Thomas Enders, bis 1991 im Planungsstab des Verteidigungsministers, wurde 1995 Geschäftsführer und Aufsichtsratsvorsitzender der DASA, die 2000 in das deutsch-französisch geführte Rüstungsunternehmen EADS einging.

1998 schuf der neue Vorsitzende Schrempp DaimlerChrysler durch Zukauf des US-Konzerns für 36 Milliarden Dollar. Das Projekt erwies sich als Verlustbringer. Chrysler wurde weiterverkauft. Hochzeit und Scheidung kosteten Daimler rund 40 Milliarden Euro. 2012 einigten sich die Regierungen Frankreichs und Deutschlands auf eine neue paritätische Anteilstruktur bei EADS, die den Konzernen Daimler und Lagadére ermöglichte, schrittweise auszusteigen. Der Streubesitz wurde erhöht und die Stimmrechte auf Frankreich, Deutschland (je 11 Prozent) und Spanien (4 Prozent) aufgeteilt. Danach konnte sich Daimler auf das Kerngeschäft Automobil konzentrieren.[8]

Mittels des Beteiligungssystems können Kapitalgeber, mit einem Minimum an Kapital ein Maximum an Einfluss ausüben, vor allem, wenn sie Depotstimmrechte verwalten. Für die Wahl des Aufsichtsrats genügt die Mehrheit des auf der Hauptversammlung vertretenen, stimmberechtigten Kapitals. Sie hängt ab von der Hauptversammlungspräsenz. Dabei gilt: Je mehr Streubesitz, desto geringer ist die Hauptversammlungspräsenz. Je größer die Anteile von Großaktionären, desto höher ist die Hauptversammlungspräsenz.[9] Ende 2018 hatte Daimler folgende Aktionärsstruktur:

Tenaciou3 Prospect Invested Limited [10] mit 9,7 Prozent;

Kuwait Investment Authority 6,8 Prozent;

Renault/Nissan 3,1 Prozent;

Institutionelle Investoren 60,3 Prozent;

Private Investoren 20,1 Prozent.[11]

Die Hauptversammlungspräsenz lag 2018 bei Daimler mit 55,71 Prozent unter dem Durchschnitt der 30 DAX-Konzerne (65,3 Prozent). Somit brauchte man 28 Prozent der Anteile für die Mehrheit.[12] Real lag die Zustimmung der Daimler-Aktionäre bei keinem Vorschlag der Unternehmensführung unter 90 Prozent. Auch bei anderen Konzernen sind solche Ergebnisse üblich, denn die Konzernführungen organisieren im Vorfeld Konsultationen mit den wichtigsten Investoren (Investors Relations). Kuwait ist seit 44 Jahren ein pflegeleichter, „stiller Aktionär“ bei Daimler. Investoren, die nur verdienen wollen, aber nicht dreinreden, sind bei Managern der Konzerne in Streubesitz beliebt als Ankeraktionäre, die einen Übernahmeschutz bieten.

Mit Renault/Nissan hat Daimler seit 2010 eine strategische Kooperation. Sie bauen gemeinsam Auto-Komponenten, haben ein 50:50 Joint Venture in Mexiko, teilen sich diverse Kosten. Kooperationen sind eine moderne Form des Monopols und viel flexibler als die früheren, heute illegalen Kartelle. Kooperationen beziehen sich auf bestimmte Gebiete und heben die Konkurrenz auf anderen Gebieten nicht auf. Theoretisch kann Konzern A auf einem Gebiet mit Konzern B, in Konkurrenz zu Konzern C kooperieren, auf einem anderen Feld mit Konzern C gegen Konzern B. Unter den institutionellen Investoren finden sich die Investmentfonds privater und staatlicher Finanzkonzerne, die in der Regel in alle DAX-Titel investieren. Private Kleinanleger sind auf Hauptversammlungen häufig durch Aktionärsvereinigungen vertreten. Aufregung verursachte der neue Großaktionär aus China, von dem die Wirtschaftspresse munkelte, er habe sich mit verdeckten Zukäufen 2017 an die 9,7 Prozent „herangeschlichen“ und niemand wisse, was er vorhabe. Die Bafin untersucht das.[13]

BMW

Die BMW AG entstand während des ersten Weltkriegs aus den Vorläufern Flugmaschinenwerke Gustav Otto und Rapp Motorenwerke. Als Rüstungslieferant stieg BMW bis Kriegsende zu einem der größten deutschen Flugmotorenwerke mit 3500 Mitarbeitern auf. Nach dem Krieg richtete der BMW-Großaktionär und zeitweilige Aufsichtsratsvorsitzende Camillo Castiglioni[14] die Firma auf den Bau von Motorrädern aus. Mit der Übernahme der Fahrzeugfabrik Eisenach 1928 wurde BMW Autobauer. Castiglioni, der sich verspekuliert hatte, musste seine BMW-Anteile 1929 an Großbanken abgeben, darunter an die Deutsche Bank, die schon 1925 Emil Georg von Stauß zum Aufsichtsratsvorsitzenden gemacht hatte. Nach 1933 wurde die Autosparte wieder zum Nebenzweck. Hitlers Kriegspläne verschafften der Flugmotorenindustrie einen Aufschwung, an dem auch BMW partizipierte. Durch Übernahmen und neue Werke wuchs der Flugmotorenbau auf 90 Prozent des Gesamtumsatzes. Der Umsatz stieg von 32,5 Millionen Reichsmark 1933 auf 750 Millionen 1944. Über 50 Prozent der 56000 Beschäftigten waren Zwangsarbeiter. Auch KZ-Häftlinge, zum Teil untergebracht in einem Außenlager des KZ Dachau, mussten für BMW schuften.[15]

1945 war das Stammwerk in München zerstört. Der Fahrzeugbau Eisenach lag in der sowjetisch besetzten Zone. In München wurden zunächst Motorräder, Kochtöpfe und Bremsen produziert, später auch Autos, aber mit Verlust. Als der Motorradabsatz nachließ, geriet BMW in eine Finanzkrise. Die Deutsche Bank wollte BMW an Daimler angliedern. Das blockierten auf der Hauptversammlung 1959 aktivistische Kleinaktionärsvertreter. 1960 trat der Unternehmer Herbert Quandt als BMW-Sanierer auf den Plan. Er und sein Bruder Harald hatten 1954 ein Konglomerat von Firmenbeteiligungen geerbt, die ihr Vater hinterließ. Die Brüder waren bereits Großaktionäre bei Daimler, bevor Herbert Quandt mit 60 Prozent die Kontrolle bei BMW erwarb.[16]

Der Erblasser Günther Quandt war als Großaktionär des Batterie- und Akkumulatoren-Konzerns AFA und anderer Betriebe aufgestiegen. In Hannover-Stöcken und anderen Werken setzte auch er ab 1943 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ein. Er hatte Hitlers Aufstieg unterstützt, war 1937 Wehrwirtschaftsführer geworden und pflegte gute Kontakte zum NS-Regime. Seine geschiedene Frau Magda heiratete Goebbels. Seine Verstrickung mit dem Nazi-Regime war für Quandt nach 1945 kein Hindernis, seine Werke weiterzuführen. Die westlichen Siegermächte gaben der Wiederaufnahme der Produktion Vorrang vor einer Säuberung der Wirtschaftselite.[17]

BMW war in den Jahrzehnten nach 1945 erfolgreich als Hersteller von Mittelklassewagen und Motorrädern. Mit Borgward ging 1961 ein Konkurrent in Konkurs. 1967 übernahm BMW den Autohersteller Hans Glas GmbH. 1970-1993 wuchs die Beschäftigtenzahl von 23000 auf 71000. Mit der Übernahme der Klöckner Humboldt Deutz AG stieg BMW 1990 wieder in die Luftfahrtsparte ein. Sie ging in das Joint Venture BMW Rolls-Royce AeroEngines ein und wurde 2000 von Rolls Royce übernommen, nachdem sich BMW an der britischen Rover Group überhoben hatte, die als Verlustbringer wieder abgestoßen werden musste. Heute ist BMW in 14 Ländern mit Montage- und Fertigungswerken vertreten, in 140 Ländern mit seinem Händler-Netzwerk. Die Eigentümerstruktur des Konzerns ist laut BMW-Homepage wie folgt:

Streubesitz 53,2 Prozent

AQTON SE, Bad Homburg v. d. Höhe 9 Prozent

AQTON GmbH & Co. KG für Automobilwerte Bad Homburg v. d. Höhe 16,6 Prozent

Susanne Klatten Beteiligungs- GmbH, Bad Homburg v. d. Höhe 20,7 Prozent

Susanne Klatten 0,2 Prozent

Stefan Quandt 0,2 Prozent

Danach verfügen die Geschwister Stefan Quandt und Susanne Klatten als Kinder Herberts und Enkel Günther Quandts mit ihren Beteiligungsgesellschaften über 46,8 Prozent der Anteile. Der Rest ist Streubesitz. Auf der Hauptversammlung 2018 waren 79,84 des stimmberechtigten Grundkapitals vertreten. 40 Prozent der Anteile hätten für die Mehrheit gereicht. Die Abstimmungen folgten den Empfehlungen der Konzernspitze mit Ergebnissen zwischen mindestens 78,69 Prozent beim Tagesordnungspunkt Vergütung der Vorstandsmitglieder und höchstens 99,96 Prozent.

Stefan Quandt und Susanne Klatten nahmen 2018 Platz 1 auf der Liste der 1000 reichsten Deutschen ein. Sie halten Beteiligungen und bekleiden Aufsichtsratssitze in zahlreichen Firmen.[18] Daneben betreiben sie mehrere Stiftungen, wie etwa die Johanna Quandt Stiftung, deren Zweck es ist, „das Verständnis für die marktwirtschaftliche Ordnung und die Bedeutung des privaten Unternehmertums als Träger der wirtschaftlichen Entwicklung in der Öffentlichkeit und den Medien zu fördern.“[19] Reiche senken mit Stiftungen ihre Steuern. Über den Einsatz der Mittel, die sie dem Staat damit vorenthalten, können sie so selbst bestimmen.

VW

Anlässlich der Internationalen Automobil- und Motorrad-Ausstellung in Berlin 1934 trat Hitler für die Entwicklung eines für die Massen erschwinglichen, einfachen PKW ein. Den Auftrag zum Bau eines Prototyps vergab der Reichsverband der Deutschen Automobilindustrie an das Konstruktionsbüro Ferdinand Porsche, Stuttgart. Da die Autoindustrie kein Interesse hatte, ein 1000-Reichsmark-Auto zu subventionieren, wurde die Deutsche Arbeitsfront (DAF), Ersatzorganisation der von den Nazis zerschlagenen Gewerkschaften, beauftragt. Sie verwendete das 1933 beschlagnahmte Gewerkschaftsvermögen für den Bau einer großen Automobilfabrik auf ländlichem Gelände in Niedersachsen. Dort sollte der KdF-Wagen (benannt nach der Nazi-Freizeitorganisation Kraft durch Freude) produziert werden. 1938 wurde Ferdinand Porsche Geschäftsführer und Aufsichtsrat der Volkswagenwerk GmbH.

Zwar wurde ein modernes Autowerk nach dem Vorbild von Ford errichtet, aber aus Hitlers angekündigter Massenmotorisierung wurde nichts. Devisen und Benzin reichten nur für die Motorisierung der Armee. VW produzierte vorerst spezielle Fahrzeuge für die Wehrmacht, wie „Kübelwagen“ und „Schwimmwagen“, daneben Tellerminen, Panzerfäuste und andere Waffen. Die Rüstungsproduktion leitete ab 1941 Porsches Schwiegersohn Anton Piech. Porsche, seit 1934 NSDAP-Mitglied, wurde u.a. Wehrwirtschaftsführer und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. 1940-1945 wurden 20000 Menschen zur Zwangsarbeit eingesetzt, darunter Häftlinge, die in Außenlagern des KZ Neuengamme interniert wurden. Hunderte überlebten den Einsatz nicht.[20]

Das Konstruktionsbüro in Stuttgart im Besitz der Familien Porsche und Piech bekam lukrative Aufträge und wurde faktisch zur Konstruktionsabteilung von VW. 1943 übernahm das VW-Werk unter Porsche im besetzten Frankreich die „unternehmerische Verantwortung“ für Renault. Für die Demontage von Maschinen und die Verschleppung von Renault-Arbeitern zur Zwangsarbeit saßen Ferdinand Porsche und Anton Piech nach Kriegsende 22 Monate in französischen Gefängnissen. Ein Entnazifizierungsverfahren in Baden Württemberg wurde dagegen 1949 eingestellt.

1948-49 handelte Porsches Sohn Ferry Abfindungsverträge mit VW aus. Porsche sollte nur noch fallweise Aufträge erhalten und bekam das Recht auf eine Lizenzgebühr von 1 Prozent pro Käfer, eine monatliche Vergütung von 40000 DM für Weiterentwicklungsarbeiten und die Alleinvertretung für den Handel in Österreich. Zu dem Zeitpunkt hatte die britische Besatzungsmacht, die an einer Reparatur- und Produktionsstätte für ihre Armeefahrzeuge interessiert war, bereits den Generaldirektor Heinrich Nordhoff eingesetzt. Da das VW-Werk schneller als andere Hersteller wieder Autos produzieren konnte, stieg es zum deutschen Marktführer und Exporteur auf. Davon profitierten auch das Autowerk Dr. Ing. h. c. F. Porsche KG in Stuttgart-Zuffenhausen und die österreichische PKW-Handelsgesellschaft Porsche Holding.

Die Briten übergaben das VW-Werk 1949 dem Land Niedersachsen, das neben dem Bund die Stimmrechte ausübte. Eine Auflage war, dass die Gewerkschaften starken Einfluss erhalten sollten. Unter diesen Umständen verzichtete der DGB darauf, das 1933 gestohlene Gewerkschaftsvermögen einzuklagen.[21] 1960 wurde VW teilprivatisiert. 60 Prozent der Aktien wurden als sogenannte Volksaktien verkauft, je 20 Prozent behielten der Bund und Niedersachsen. Das VW-Gesetz 1960 enthielt Stimmrechtsbeschränkungen, um feindliche Übernahmen, Produktionsverlagerungen und ähnlich gravierende Beschlüsse zu erschweren. So sollte kein Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben können. Die EU-Kommission klagte dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof, der 2007 die 20-Prozent-Klausel kippte.[22]

Bereits 1953 eröffnete VW ein Werk in Brasilien. 1964 erwarb VW die Auto Union von Daimler Benz. Die Marke Audi kam damit zu VW. Werke in Mexiko (1964), USA (1955), Südafrika (1966) wurden gebaut oder übernommen. Kurz nach Beginn der Öffnungspolitik der VR China vereinbarte VW 1984 sein erstes Joint Venture mit einem chinesischen Autobauer und wurde in China Marktführer. Im Vorfeld des EU-Binnenmarkts übernahm VW 1986 den spanischen Autobauer SEAT. Ab 1990 erwarb VW Anteile an Skoda in Tschechien, um die Firma 2000 zu übernehmen.

1993 wurde Ferdinand Piech, der Sohn Anton Piechs und Enkel Ferdinand Porsches, Vorstandsvorsitzender von VW. Zuvor war er im Management der VW-Tochter Audi zum Vorstandsvorsitzenden aufgestiegen. Als VW-Chef trieb er die schrittweise Übernahme der Lastwagenbauer MAN und Scania (Schweden) voran, um aus ihnen perspektivisch eine VW-Truck-Sparte zu formen. Mit der Übernahme von Bentley 1997 durch VW und Lamborghini 1998 durch Audi forcierte Piech zugleich einen Einstieg in das Luxussegment.

2002 wechselte Piech vom Vorstandsvorsitz zum Aufsichtsratsvorsitz der VW AG, den er bis 2015 innehatte. Zugleich gehörte er dem Aufsichtsrat der Porsche AG an. 2005 erwarb diese 21 Prozent der VW-Stammaktien. Bis 2008 baute sie ihren Anteil auf 42,6 Prozent aus. Daneben hatte sie sich Optionen auf weitere 31,5 Prozent gesichert. Als die Porsche AG 2009 einen fälligen Kredit nicht ablösen konnte, half VW. Im Ergebnis wurde Porsche von VW, statt VW von Porsche übernommen. Zugleich aber besaß der Porsche/Piech-Clan über die 2007 gegründete Porsche Holding SE die Mehrheit an VW. Sämtliche stimmberechtigten Stammaktien der Holding gehören den Familien Porsche und Piech. 2015 gab Piech den Aufsichtsratsvorsitz ab.

2017 verkaufte er seine Aktien an die Familien Porsche und Piech. Sie wurden so aufgeteilt, dass die Machtbalance zwischen dem Porsche- und dem Piech-Zweig erhalten blieb. Die Regel, dass Aussteiger ihre Beteiligungen nur innerhalb des Clans verkaufen, dient dem Machterhalt der Dynastie im Konzern. Gegenwärtig (2018) verteilen sich die stimmberechtigten Stammaktien bei VW wie folgt:

Porsche Automobil Holding SE, Stuttgart 52,2 Prozent

Land Niedersachsen, Hannover 20,0 Prozent

Qatar Holding LLC 17,0 Prozent

Streubesitz 10,8 Prozent

Der Porsche/Piech-Clan besitzt damit die kontrollierende Mehrheit. Mitbestimmungsklauseln des Betriebsrats und Niedersachsens, die trotz neoliberaler „Reform“ in der abgeschliffenen Fassung des VW-Gesetzes noch erhalten werden konnten, schränken die Alleinherrschaft ein wenig ein. Im DAX werden seit 2009 die nicht stimmberechtigten VW-Vorzugsaktien gehandelt. Stamm- und Vorzugsaktien bilden zusammen das Grundkapital, an dem die Porsche Holding SE 30,8 Prozent, Katar 14,6 und Niedersachsen 11,8 Prozent hält. Die Differenzierung zwischen Stämmen und Vorzügen dient dem Zweck, mit einem Minimum an Kapital ein Maximum an Kontrolle auszuüben und garantiert zugleich die Machtverhältnisse. Auf der aktuellen Liste der 1000 reichsten Deutschen hält Wolfgang Porsche den 6. Platz. Ferdinand Piech hält Platz 10. Verwandte und Erben der beiden bekleiden Aufsichtsratsposten bei VW und bei VW-Töchtern. Vier Clanmitglieder sitzen im Aufsichtsrat von VW, 30 in den Aufsichtsgremien von Tochtergesellschaften, von denen wiederum vier, zusätzlich zu VW, zu den 100 größten Konzernen Deutschlands gehören.[23]

Staat stützt private Kapitalanhäufung

In der Weltwirtschafts- und Finanzkrise federte der Staat 2009 die Überproduktion der Autoindustrie mit Abwrackprämien und durch Erleichterung von Kurzarbeit ab. Nach Auffliegen des Abgasbetrugs 2015, sperrten sich die Konzerne gegen Hardware-Nachrüstungen der Autos geprellter Dieselfahrer. Eine staatliche Diesel-Abwrackprämie für Neufahrzeuge bekamen sie diesmal nicht. Trotzdem gilt: Ob es um die Verzögerung einer Produktionsquote für Elektroautos in China geht, um Verhandlungen in der EU über die Begrenzung des CO2-Ausstoßes, um das Umgehen von Gerichtsurteilen für Fahrverbote – in der Regel engagiert sich der Staat so, dass die Schonung der Profite der Autokonzerne Vorrang vor den gesundheitlichen Bedürfnissen und dem Geldbeutel der Bürger hat. Kürzlich stellte die Regierung sogar den Plan einer (zuvor lauthals geforderten) sogenannten „Digitalsteuer“ zurück, aus Furcht, Donald Trump könne sich mit höheren Steuern auf Autoexporte rächen.

Suggeriert wird, es gehe uns allen gut, wenn es „der Wirtschaft“ gut geht. Real entsteht der Zwang zur Profitmaximierung aus der Konkurrenz kapitalistischer Privateigentümer um die höchstmögliche Kapitalverwertung. Die Lohnabhängigen bekommen davon nur so viel ab, wie sie sich erkämpfen. Expansionsdrang und Aggressivität des Monopolkapitals führten in der Geschichte in zwei Weltkriege. Heute heizen Sanktionen, Stellvertreterkriege und Interventionen gegen Länder, die sich der bedingungslosen „Marktöffnung“ verweigern, erneut die Gefahr großer Kriege an. Die ungebremste Expansion der Autokonzerne nimmt die Vertiefung der ökologischen Krise und Klimakatastrophen in Kauf. Permanente deutsche Exportüberschüsse bringen neben Autos auch Arbeitsplatzvernichtung, Arbeitslosigkeit, Verschuldung und Sparprogramme in Länder, die in der monopolistischen Konkurrenz nicht mithalten können. Das schiebt Autokrisen bei uns hinaus, hebt ihre Ursachen aber nicht auf.

Es ist absehbar, dass die Steuerung der Gesellschaft im Profitinteresse, zwecks Vermehrung der Macht der Reichen zu immer größeren Verwerfungen führt und auf Proteste in der Bevölkerung stößt, die sich in sehr unterschiedlichen Formen artikulieren. Die Rücksichtslosigkeit und Brutalisierung des Profitmachens wachsen mit der Konkurrenz, aber auch die Heftigkeit und Härte des Widerstands (siehe Frankreich). Wenn heute in Talk-Shows mit besorgtem Stirnrunzeln über Gefahren einer „Spaltung der Gesellschaft“ räsoniert wird, ist zu fragen: Hat es je einen Kapitalismus ohne Klassenspaltung, ohne den Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital gegeben?

Zeigt nicht die Kapitalanhäufung in den Händen weniger Reicher seit 150 Jahren, dass die Spaltung in Oben und Unten, in Ausbeutende und Lohnabhängige der ökonomischen Basis dieser Gesellschaft innewohnt und sich nur mit ihr nachhaltig verändern lässt? In die Klassenspaltung der Gesellschaft wurden wir hineingeboren. Nötig aus Sicht der Lohnabhängigen ist es, Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse und der nichtmonopolistischen Kräfte im gemeinsamen Kampf zu überwinden, um die Macht des Monopolkapitals zu beschränken und perspektivisch abzuschaffen.

 


 

[1] Wenn nicht anders angegeben, sind die Homepages der Firmen die Quelle für Zahlen und Fakten.

[2] „Bedeutung der Autoindustrie für Deutschland nimmt zu“, reuters.com 14.9.2017

[3] Vgl. Beate Landefeld: Zur Struktur der herrschenden Klasse, in: Marxistische Blätter 6-2011, S. 100-106; auch zu finden unter: https://belafix.wordpress.com/

[4] Die Auto-Union (Audi, DKW, Horch, Wanderer) gehörte ab 1931 der Sächsischen Landesbank. Vor dem 2. Weltkrieg war sie mit 22% Umsatzanteil bei PKWs zweitgrößter Automobilproduzent nach der Adam Opel AG (41%), zur Zeit der Übernahme durch Daimler-Benz 1958 noch an 5. Stelle nach VW, Opel, Daimler-Benz und Ford. Daimler-Benz verkaufte sie 1964 an VW. NSU wurde 1969 einverleibt.

[5] Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts (Hrsg.): Das Daimler-Benz Buch. Ein Rüstungskonzern im Tausendjährigen Reich. Nördlingen 1987, S. 32ff., S. 217ff.

[6] Gaby Weber: Daimler-Benz und die Argentinien-Connection, Berlin 2004

[7] Michael Heller: Späte Ehre für den stillen Aktionär Kuwait, Stuttgarter Zeitung 18.9.2014

[8] „Daimler und Chrysler – Hochzeit des Grauens“, Süddeutsche Zeitung 17.5.2010; „Deutschland statt Daimler – EADS sortiert sich neu“, Der Tagesspiegel 6.12.2012

[9] Ab der Schwelle von 3 Prozent besteht die Pflicht zur Stimmrechtsmitteilung. Ebenso bei Erreichen von 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 und 75 Prozent, teilweise verbunden mit weitergehenden Erklärungen.

[10] Dabei handelt es sich um eine Mantelfirma Li Shufus, des Chefs von Geely (VR China).

[11] Die geografische Streuung war: 31 Prozent Deutschland; 28,9 Prozent Europa ohne D; 18,9 Prozent USA; 6,8 Prozent Kuwait; 11,9 Prozent Asien; 2,5 Prozent sonstige Erdteile.

[12] „Deutlich mehr Aktionäre auf Hauptversammlungen“, Spiegel Online 25.05.2018.

[13] Die Bundesaufsicht für Finanzdienstleistungen prüft, ob Käufe ordnungsgemäß gemeldet wurden.

[14]  C. Castiglioni (1879-1957): österreichisch-italienischer Industrieller, Spekulant und Flugpionier

[15] Vgl.: „BMW – aus Freude am Fahren. Zur unrühmlichen Geschichte eines deutschen Großkonzerns“, http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2015/04/bmw-aus-freude-am-fahren/

[16] „BMW-Sanierung. Der Krebs“, Der Spiegel 49-1960, S. 46-49

[17] Rüdiger Jungbluth, Die Quandts und die Nazis, DIE ZEIT, 15.11.2007 Nr. 47

[18] „Die 1001 reichsten Deutschen“, Managermagazin, Sonderheft 2018, S. 11

[19] https://www.johanna-quandt-stiftung.de/stiftung/

[20] Hans Mommsen / Manfred Rieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996, S. 198ff., S. 251ff.

[21] H. Leyendecker / K. Ott, Porsche-Chef Wendelin Wiedeking – Geschichte „mangelhaft“, Süddeutsche Zeitung 13.06.2009

[22] Vgl. Beate Landefeld, Kapitalanhäufung in Claneigentum: Porsche kauft VW, Marxistische Blätter 2-2008, S. 24-28

[23] Michael Freitag, Ein Clan ohne Plan, Managermagazin 11-2017, S. 34

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