Vor 50 Jahren – Gründung des MSB Spartakus (1971-1990)

Von Beate Landefeld

Am 20./21. Mai 1971 gründeten in Bonn 218 Delegierte aus 45 Gruppen mit 1000 Mitgliedern an Hoch- und Fachhochschulen der Bundesrepublik den Marxistischen Studentenbund Spartakus. Er bestand bis Juni 1990. In den zwei Jahrzehnten seines Wirkens gewann er beachtlichen Einfluss in der Studentenschaft. In den 1970er Jahren hatte er bis zu 6500 Mitglieder und Gruppen an allen größeren Hochschulen. Er nahm im Bündnis mit dem Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) Einfluss auf Fachschaftsräte, Studentenparlamente, Allgemeine Studentenausschüsse und den Dachverband VDS. Mit seinem Namen stellte sich der Spartakus in die Tradition der KPD/DKP. In der Geschichte der BRD war er die erste und bisher letzte mit der kommunistischen Partei verbundene Studentenorganisation.

Vorgänger waren die sogenannten „Traditionalisten“ im SDS.[1] Der SPD-Studentenverband bekämpfte den Kurs der SPD-Führung auf Remilitarisierung und Westbindung, blieb kapitalismuskritisch und antiimperialistisch und wurde daher 1960 aus der SPD hinausgeworfen. Danach orientierte sich ein Teil der SDS-Führung an der Neuen Linken Englands und Frankreichs. Der SDS war Teil der außerparlamentarischen Opposition gegen Remilitarisierung und Atomwaffen, gegen Kolonialismus, den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze, gegen NPD und Große Koalition. Neben linken Sozialdemokraten und Sozialisten gab es im SDS in kleiner Anzahl auch KPD-nahe Studenten. Nach dem 2. Juni 1967 überwogen die „Antiautoritären“. Sie spielten auf dem Höhepunkt der 1968er Studentenbewegung die führende Rolle.

Die Antiautoritären verstanden es, handelnd voranzugehen, zu mobilisieren, den repressiven Charakter des Systems zu entlarven und Reformillusionen zu zerschlagen. Das zog auch Schüler und Arbeiterjugendliche an. Die CDU-Presse, vor allem der Springer-Konzern, hetzte gegen die angeblich privilegierten Studenten. Manche bürgerlichen Medien waren aber von den Aktionen angetan. Ein Teil des Monopolkapitals wollte den Schwung der Bewegung nutzen, um den Reformstau aus zwanzig Jahren CDU-Regierungen aufzulösen und das System zu effektivieren. Die Reform und quantitative Ausweitung des Bildungswesens waren überfällig, zumal nach dem Bau der Mauer der Brain Drain aus der DDR versiegte. Unhaltbar war auch die revanchistische Außenpolitik. Mit der Nichtanerkennung der Ostgrenzen geriet die BRD zunehmend international in die Isolierung.

Nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze durch die Große Koalition 1968 ebbte die außerparlamentarische Bewegung ab. Für die Studentenbewegung lag jetzt der Fokus auf der Abwehr der technokratischen Hochschulreform, die auf Expansion des Hochschulwesens und die stärkere Anpassung seiner Verwaltung an die Bedürfnisse des Monopolkapitals zielte. Neue, je nach Land mehr oder weniger reaktionäre Länderhochschulgesetze beseitigten die Alleinherrschaft der Ordinarien und stärkten den Einfluss von Staat und Wirtschaft. Studenten, Dozenten und Personal durften in Maßen mitbestimmen. In der akademischen Selbstverwaltung konnten die Professoren zeitweilig überstimmt werden. Zwar zog der konservative „Bund Freiheit der Wissenschaft“ dagegen zu Felde und erreichte ein teilweises Rollback, doch die Lage hatte sich verändert. Die Konzepte und Strategien der Antiautoritären hatten sich erschöpft. Immer mehr Studenten schwante, dass eine grundlegende Gesellschaftsveränderung ohne aktives Eingreifen der Arbeiterklasse nicht erreichbar war. Studienzirkel zur „Klassenanalyse der Intelligenz“, Kapital-Schulungen, Projektgruppen zur „revolutionären Berufspraxis“ etc. bekamen massenhaften Zulauf.

In den Fachbereichen stand die Studienreform auf der Tagesordnung. Teile des demokratischen Potentials der Hochschulen, auch viele Studenten, brannten darauf, schon erarbeitete Alternativen einzubringen. Es gab Reformillusionen. Sinnvoll war Gremienarbeit, wenn sie sich auf den Massenkampf stützen konnte. Zugleich galt es, die Studentenschaft zur Abwehr staatlicher Bestrebungen reaktionärer Formierung, wie NC, Prüfungsordnungen, Kurzstudiengänge, Ordnungsrecht und Angriffen auf die Verfasste Studentenschaft, immer wieder zu mobilisieren. Nötig war die Beherrschung der Dialektik von Reform und Revolution. Zudem war der Hauptstoß gegen die Rechtskräfte zu richten, die selbst kleinste Zugeständnisse zurückrollten. Fast jede konkrete Forderung löste auf Versammlungen Grundsatzdiskussionen aus.

Situation einer Umstellung und Umgruppierung

Mitten in dieser Umstellung formierte sich der MSB Spartakus. 1969 bildeten SDS-Gruppen vorwiegend aus NRW in Westhofen die Assoziation Marxistischer Studenten (AMS) – Spartakus. Ihre Grundsatzerklärung stellte fest, die Studentenbewegung habe einen Punkt erreicht, an dem eine Reihe von theoretischen Differenzen „unmittelbar praxisrelevant“ geworden seien. Dabei gehe es um die folgenden Fragen:

– Gibt es heute noch eine revolutionäre Klasse?

– Braucht man heute noch zum Kampf eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, eine kommunistische Partei?

– Nach welchen Kriterien wählen wir die Mittel im Kampf gegen die Herrschenden?

– Welches ist das Verhältnis von theoretischem und praktischem Kampf?

– In welchem Verhältnis steht der Kampf der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern zum Kampf der nationalen Befreiungsbewegungen in der „Dritten Welt“ und zur Rolle der sozialistischen Länder?

Die Grundsatzerklärung der AMS nahm die Positionen der Antiautoritären zu diesen Fragen in knapper Form auseinander und begründete die eigenen. Sie sah in der Arbeiterklasse die Hauptkraft, in den sozialistischen Ländern eine wichtige Stütze im Kampf um Fortschritt. Die existierende Studentenbewegung schätzte sie als „in ihrem Grundcharakter antiimperialistisch“ ein, auch wenn sie in einigen der obigen Fragen falsche oder unklare Positionen vertrete. Umso wichtiger sei das eigenständige Wirken der Marxisten in dieser Bewegung, um weiterführende Positionen zu fördern. Es gelte, Teile der Intelligenz als sozialistische Kader zur Unterstützung der Arbeiterbewegung zu gewinnen. Zudem sei Interessenvertretung der Intelligenz umso notwendiger, je mehr diese nicht mehr nur Bündnispartner der Arbeiterklasse sei, sondern zu einem Teil der Arbeiterklasse werde, der in und mit der Arbeiterbewegung seine spezifischen Interessen zu formulieren und zu vertreten habe.[2]

Seit 1965 gab der SDS Köln die Zeitschrift Facit heraus, in der über die Produktivkraft Wissenschaft, die wissenschaftlich-technische Revolution, die Klassenlage der Intelligenz und daraus folgende Probleme der Studentenbewegung diskutiert wurde. Dort schrieben u.a. Gerhard und Elisabeth Bessau, Anne Nigbuhr, H. J. v. Heiseler, Johanna Hundt, Herbert Lederer, Gunnar Matthiessen, Christof Kievenheim, André Leisewitz, Lothar Peter, Kurt Steinhaus, Michael Maercks, Fred Schmidt, Gerhard Bauß, Karlheinz Heinemann, Jan Priewe, Dirk Krüger, Rolf Geffken, Claus Proft. Facit bereitete die Programmdiskussionen der AMS und des späteren MSB vor.

Im März 1970 verkündete der SDS auf Bundesebene seine Auflösung. Zu den letzten „Taten“ des SDS-Bundesvorstands gehörte der Versuch, den Verband deutscher Studentenschaften zu liquidieren. Auf der 21. Mitgliederversammlung des VDS im November 1969 erklärten SDS-Führer die Umwandlung des VDS zur sozialistischen Kampforganisation für gescheitert. SDS-dominierte ASten traten aus dem Dachverband aus. SHB-ASten, unterstützt durch Spartakus – AMS, kritisierten die Liquidierung als Hilfsdienst für die Pläne der Reaktion, die Verfasste Studentenschaft abzuschaffen und sorgten für einen Notvorstand.[3] In der Folgezeit entwickelten SHB und Spartakus im VDS die Politik der gewerkschaftlichen Orientierung.

Grundlage war die Einschätzung, dass mit der wissenschaftlich-technischen Revolution die soziale Lage des größten Teils der Angehörigen der Intelligenz sich an die Lage der Arbeiterklasse annäherte. Schon im Studium müsse die Masse der Studierenden ihre eigenen Interessen an der Seite der Arbeiterklasse und der Gewerkschaften gegen das Großkapital durchsetzen. Die Organe der Verfassten Studentenschaft seien zu gewerkschaftsähnlichen Instrumenten des studentischen Massenkampfs zu entwickeln, ihr politisches Mandat zu verteidigen. Dasselbe Monopolkapital, das die reaktionäre Hochschulformierung antrieb, war auch Motor und Hauptprofiteur des Imperialismus und Neokolonialismus. Die Veränderung der Kräfteverhältnisse mit dem Ziel der Einschränkung und letztlichen Überwindung der Macht des Monopolkapitals war das gemeinsame Interesse aller Emanzipationsbewegungen.

In der Aktionseinheit, die wenn möglich, auf weitere progressive Gruppen ausgeweitet wurde, gewannen die gewerkschaftlich orientierten Verbände rasch an Masseneinfluss. Als 1971 der MSB Spartakus sich gründete, war er schon vielerorts in der Studentenschaft verankert. Das reflektierten auch die bürgerlichen Medien. „Die SPARTAKISTEN haben gute Chancen, schon in kurzer Zeit eine Volksfrontpolitik an den Hochschulen durchzusetzen,“ warnte die Süddeutsche Zeitung (26.5.1971) und Springers Welt klagte: „SPARTAKUS das Satellitengeschwader der DKP, hat in diesem Sommersemester einen stürmischen Aufschwung genommen. Er ist in 40 Hochschulen eingeflogen, stellt an vier Hochschulen den AStA-Chef, praktiziert an acht weiteren die kleine Volksfront mit dem Sozialdemokratischen Hochschulbund, über den die große Mutterpartei geflissentlich hinwegsieht.“ (15.7.1971)

„Volksfronten an den Hochschulen“

CDU/CSU, Springerpresse und Bund Freiheit der Wissenschaft liefen Sturm gegen die Aktionseinheit. Zugleich nahmen sie die SPD wegen der Ostpolitik unter Beschuss. Direkt nach der Unterzeichnung des Moskauer Vertrags durch die Regierung Brandt leitete der Hamburger Senat mit dem berüchtigten „Radikalenerlass“ offiziell die Politik der Berufsverbote ein. Im Januar 1972 übernahm eine Innenministerkonferenz den Beschluss. Die SPD hielt es für nötig, „zu dokumentieren, dass außenpolitische Realpolitik, d. h., Verständigung mit dem Osten, keinesfalls identisch mit einem besseren inneren Verhältnis zu Kommunisten sei,“ interpretierte der Politikwissenschaftler Thränhardt.[4] Dazu passte, dass die SPD seit 1971 auch dem SHB jede finanzielle Unterstützung verweigerte und ihm 1972 verbot, sich „sozialdemokratisch“ zu nennen. Der SHB teilte das Schicksal seines Vorgängers SDS.

Gegen die Berufsverbote entstand bald eine Bewegung im In- und Ausland. In Frankreich sprachen sich Konservative wie Alfred Grosser gegen sie aus. Nachdem Kommunisten und Sozialisten Frankreichs 1972 ein gemeinsames Programm vorgelegt hatten, wurde Francois Mitterand 1976 Mitbegründer des französischen Komitees gegen die Berufsverbote in der BRD. Organisationen der Resistance protestierten Jahrzehnte lang. In der Bundesrepublik gab es zentrale und dezentrale Aktionen gegen die Berufsverbote, die sich meist an Fällen entzündeten und manchmal Erfolg hatten. Ab 1985 bröckelte die Front der Länderregierungen. Erst 1991 stellte Bayern die Regelanfrage beim Verfassungsschutz ein. Für Rehabilitation und Entschädigung kämpfen viele Betroffene bis heute.[5]

Im VDS setzten sich die gewerkschaftlich-orientierten Verbände für eine politische Plattform zur Kooperation mit den JuSo-Hochschulgruppen, dem Liberalen Hochschulverband und der (in sich heterogenen) Basisgruppenfraktion ein. Das war ein konfliktreicher Prozess. So blockierte auf der 24. VDS-MV im März 1972 ein buntscheckiges Bündnis aus JuSo-Asten (Saarbrücken, Köln), dem rechten AStA der TU Clausthal, dem FDP-AStA der PH Münster, vom SHB abgespaltenen SHB/SF-ASten und der von Vorläufergruppen des KBW dominierten Basisgruppenfraktion die Einigung auf eine politische Plattform. Die Forderung nach Ratifizierung der Ostverträge lehnten sie ab. Die MV wurde durch den Auszug der SHB/MSB-ASten abgebrochen.

Die von der Regierung Brandt/Scheel geschlossenen Verträge zur Anerkennung der Ostgrenzen stießen auf heftige Ablehnung der CDU/CSU und revanchistischer Vertriebenenverbände. Vor der Ratifizierung im Bundestag liefen Abgeordnete der FDP und ein Vertriebenenfunktionär der SPD zur CDU-Fraktion über oder erklärten, bei einem Misstrauensantrag für den Sturz der Regierung zu stimmen. Am 24. April 1972, dem Tag der Abstimmung herrschte in der Bevölkerung, die mit großer Mehrheit für bessere Nachbarschaft mit dem Osten war, gespannte Aufmerksamkeit.

Fortschrittliche Kräfte bereiteten Aktionen gegen den Sturz der Regierung und für die Ratifizierung der Verträge vor. So beschlossen in Hamburg parallele Versammlungen von Studenten und Hafenarbeitern, gemeinsam zu demonstrieren. 20000 nahmen teil. Auf der Kundgebung sprachen der Betriebsratsvorsitzende des Hafens und der Unipräsident. In anderen Städten lief es ähnlich. Es war einer der wenigen Momente, in denen sich das proklamierte Bündnis von Arbeiterklasse und Studenten einmal materialisierte. Das gab auch der Aktionseinheit im VDS einen Schub. Die im März abgebrochene 24. VDS-MV ging im Mai weiter. Eine politische Plattform mit den JuSos, die den Friedenskampf nicht mehr hintanstellen wollten, kam zustande.

Die kurze „Reformära“ unter Willy Brandt Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre, von der viele Sozialdemokraten heute nostalgisch träumen, war zugleich reformistisch und repressiv. Konsequent linke Kräfte wurden mit Berufsverboten und anderen Mitteln bedroht. Zugleich legte die Regierung Konzepte vor, die sich heute wie konkrete Utopien lesen, wie etwa das Ziel eines einheitlichen, durchlässigen Bildungswesens von der Vorschule, über die Gesamtschule bis zur Gesamthochschule, das Arbeiterkindern durch besondere Förderung Chancen bieten sollte, mit Kindern aus den traditionellen Bildungsschichten mitzuhalten. Die Aufbruchsstimmung währte nicht lange. In den Ländern verteidigte die CDU/CSU das Bildungsprivileg mit Zähnen und Klauen, um die traditionellen Mittelschichten bei der Stange zu halten.

Die Krise 1974/75

Die Krise 1974/75 veränderte die Kampfbedingungen grundlegend. Der materielle Spielraum für Zugeständnisse wurde enger. Im Bildungsbereich regierte der Rotstift. Die Studentenzahlen verdreifachten sich von 1970 bis 1983, aber es sollte möglichst wenig kosten. Für die Studentenbewegung trat die Abwehr von Verschlechterungen in den Vordergrund. 1974 und 1975 nahmen Zehntausende an Sternmärschen gegen BAföG-Kürzungen teil. 120000 stimmten in einer Urabstimmung zur Zusammenlegung von VDS und SVI (Studentenverband der Ingenieurstudenten) für die gesetzliche Verankerung der Verfassten Studentenschaft mit politischem Mandat. In einem Klima der Unsicherheit und Skepsis verliefen Mobilisierungen zäh. Im VDS-Vorstand gab es Streit. Die JuSo-Hochschulgruppen wollten ein „Semester des Nachdenkens“ einlegen. Bürgerliche Medien riefen eine „Tendenzwende“ aus.

Doch ein neuer Aufschwung stand bevor. Im Wintersemester 1975/76 riefen die (aus SVI und altem VDS) Vereinigten deutschen Studentenschaften zu bundesweiten Aktionstagen gegen die Hochschulformierung auf. 1976 gab es landesweite Streiks gegen das Hochschulrahmengesetz. Am geplanten Zweitstudienverbot im HRG entzündete sich ein bundesweiter Streik der Fachhochschüler. Dem folgte 1977/78 der erste nationale Studentenstreik. Zehn Jahre nach 1967 sprachen bürgerliche Medien von einer „neuen Studentenbewegung“. Doch anders als 1967 gab es in der Bourgeoisie diesmal keine Fraktion, die die Bewegung für einen technokratischen „Reformschub“ im eigenen Interesse nutzen wollte. Die Forderungen wurden ignoriert. Universitäten wurden gar der „Nähe zum Terrorismus“ verdächtigt.[6]

1982 verlangte Kohl eine „geistig-moralische Wende“, um den Geist von 1968 zu vertreiben. Zugleich thematisierten die „neuen sozialen Bewegungen“ die ökologische Krise, die AKW-Frage, die Frauenunterdrückung und Minderheitenrechte. Viele diagnostizierten eine Krise des Marxismus, der diese Fragen bisher vernachlässigt habe. In den akademischen Mittelschichten galt die „alte soziale Frage“, der ungelöste Gegensatz von Arbeit und Kapital, zunehmend als obsolet. Die Arbeiterbewegung kämpfte noch um die 35-Stunden-Woche. Der erreichte Kompromiss brachte zwar Arbeitszeitverkürzung, öffnete aber zugleich das Tor für Flexibilisierungen. Der Zusammenbruch der UdSSR und des Sozialismus in Europa schwächte alle Linken nachhaltig. Die herrschende Klasse nutzte die Abwicklung und Deindustrialisierung der DDR für eine massive Welle der Prekarisierung. Die sozialen Spaltungen unter Lohnabhängigen wurden tiefer. Kulturelle Spaltungen kamen dazu.

Neue Studentengenerationen, die ihr Studium nach der Krise 1974/1975 aufnahmen, kannten nicht die Erfahrung der 1968er, dass Veränderungen meist ungleichmäßig und manchmal sprunghaft verlaufen. Sie kannten nur Abwehrkämpfe gegen stets neue Schübe der Rechtsentwicklung. Die Hoffnung auf die gesellschaftsverändernde Rolle der Arbeiterklasse schwand zunehmend, da die Arbeiterbewegung selbst eine Niederlage nach der anderen einsteckte. Im Strukturwandel verlor sie kämpferische Sektoren, z.B. mit dem Abbau der Stahlindustrie. Vielen erschienen jetzt die Grünen attraktiver, die in den 1980er Jahren als links galten und bei Wahlen auf Anhieb an der DKP vorbeizogen. Der Hamburger Parteitag der DKP im April 1986, wenige Tage nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl, zeigte erstmals einen tiefen Riss in der Partei. Von da an nahmen Stagnation, Austritte und Abspaltungen ihren Lauf.

Der Abwärtssog traf alle marxistischen Kräfte. Einen Studentenverband wie den MSB, dessen Mitglieder wegen der Studiendauer ohnehin stark wechseln, traf es besonders hart. Mitgliederschwund und Überalterung setzten ein. Das Einschwenken auf den Gorbatschowismus, der sich als Ideologie der Selbstauflösung des Kommunismus entpuppte, rettete den MSB nicht, sondern beschleunigte den Zerfall. Die Perestroika scheiterte noch vor der Auflösung des MSB. Letztere beschloss ein Bundeskongress im Juni 1990. Bei 41 anwesenden von 57 gewählten Delegierten, die noch ungefähr 500 Mitglieder aus 16 Orten repräsentierten, stimmten 34 für die Auflösung, 4 dagegen, 3 enthielten sich. Trotz jahrelangen, schleichenden Schwunds hält sich das amtliche Narrativ, der MSB Spartakus habe sich aufgelöst, weil nach dem Zusammenbruch der DDR von dort kein Geld mehr geflossen sei.

Zum Verschwinden des MSB Spartakus

Ergiebiger erscheint ein Vergleich des Untergangs des MSB Spartakus mit dem Zerfall des SDS. Die These vom „relativen gesellschaftlichen Charakter“ der Studentenbewegung, die der frühere Berliner SDS-ler Wolfgang Lefèvre in dem Buch Der 2. Juni 1967 und die Studentenbewegung heute (1977) formulierte, ist dabei hilfreich. Laut Lefèvre ist keines der konkreten Probleme, um die es der Studentenbewegung geht, durch die Studentenbewegung allein lösbar. Demokratische Anliegen der Studenten sind in der Regel nur durchsetzbar auf der Basis eines für die Arbeiterklasse günstigen Kräfteverhältnisses. Als objektiv entscheidende antikapitalistische Kraft vermag die Arbeiterklasse dieses Kräfteverhältnis direkt zu ändern. Von der Studentenbewegung können hierfür nur Impulse ausgehen.

Da sich die Bewegung der Arbeiterklasse „nicht nach den jeweiligen Erfordernissen des studentischen Kampfes richtet“, ist der „relative gesellschaftliche Charakter“ der Studentenbewegung, so Lefèvre, deren Kernproblem. „Resignation oder Ignorierung dieses objektiven Problems und entsprechende Versuche, die studentische Bewegung als autonomen Inhalt aufzufassen, liegen nur zu nahe.“[7] Mit diesem Problem sei die Studentenbewegung 1968/69 nicht fertig geworden. Als sie ins Stocken kam, „gewannen Kompensationsstrategien die Oberhand“. Als solche Strategien sieht er sowohl die „Organisation der eigenen Bedürfnisse“ als auch Versuche, „die Revolution auf eigene Faust zu machen“, sei es durch Gründung von K-Gruppen, sei es auf dem Wege der RAF. Autonome Selbstorganisation und kaderförmige Sekte seien dabei zwei Seiten einer Medaille und könnten ineinander umschlagen.

Scheiterte auch der MSB letztlich an der Lösung dieses Kernproblems des „relativen gesellschaftlichen Charakters“ der Studentenbewegung? Es erklärt zumindest, warum der MSB für eine Selbstauflösung anfälliger war als DKP und SDAJ. Auch diese Organisationen haben bessere Zeiten gesehen und tun sich heute schwer, aber sie blieben am Leben und können halbwegs organisiert wirken. Ein „nach links verschobenes Kräfteverhältnis an den Hochschulen“, das Meinungsforscher noch für die 1980er Jahre konstatierten, ließ sich offenbar auf Dauer nicht gegen eine gesamtgesellschaftliche Rechtsentwicklung aufrechterhalten. Auch entsteht aus der Annäherung der Lage großer Teile der Intelligenz an die der Arbeiterklasse keine spontane Tendenz nach links. Linksentwicklung setzt in der Arbeiterklasse wie in der Intelligenz das aktive praktische und theoretische Wirken von Marxisten voraus.

Frühere MSB-Spartakus-Mitglieder stellen in der DKP heute einen beachtlichen Teil der „älteren Generation“. Viele Ehemalige des MSB arbeiten in der Partei Die Linke mit. Andere sind in der Friedensbewegung, in Gewerkschaften, in progressiven Wissenschaftlerverbänden oder außerparlamentarischen Bewegungen aktiv. Viele haben sich aus dem politischen Leben zurückgezogen oder verarbeiten ihr eigenes noch. Wenige liefen zu bürgerlichen Parteien über. Das Abrackern über Jahrzehnte war nicht vergeblich. Ohne das oft frustrierende Abrackern wäre das demokratische Potential unseres Landes heute schwächer. Zur Realität gehört aber, dass in der sozialen Schicht der Intelligenz und in den neuen lohnabhängigen Mittelschichten heute die Grünen hegemonial sind, die inzwischen zu einer neoliberalen NATO-Partei wurden und dabei sind, Mehrheitsbeschafferin und Juniorpartner der von der Hauptpartei des Monopolkapitals CDU/CSU geführten, nächsten Bundesregierung zu werden.


[1] Fremdbezeichnung durch jene, die sich selbst die Antiautoritären nannten.

[2] Grundsatzerklärung des Spartakus – AMS, in: Facit 17-1969, S. 26ff.

[3] Vgl.: https://www.blog-der-republik.de/nachhutgefechte-der-68er-studentenbewegung-teil-1/

[4] Dietrich Tränhardt: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1949–1990. edition suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 205f.

[5] Vgl.: https://dkp.de/partei/theorie-und-bildung/zehntausende-mitglieder-ueber-1-000-berufsverbote/

[6] Vgl.: B. Landefeld /H. Lederer /S. Lehndorff, Der Streik – Lehren aus dem ersten nationalen Studentenstreik Wintersemester 1977/78, Dortmund 1978, S. 28f.

[7] W. Lefèvre, Wird die „neue“ Studentenbewegung die alte sein? In: G. Amendt /H. Lederer /W. Lefèvre /S. Lehndorff u.a., Der 2. Juni 1967 und die Studentenbewegung heute, 1977, S. 14

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