Das Parteiensystem vor der Bundestagswahl 2021

Von Beate Landefeld

Mit der Bundestagswahl 2021 geht die Ära Merkel zu Ende. Sie hinterlässt eine gewandelte CDU und ein verändertes Parteiensystem im Land. Merkel modernisierte die CDU, um sie für die neuen lohnabhängigen Mittelschichten attraktiv zu machen. Im Gefolge der Expansion des Bildungswesens seit den 1970er Jahren und mit der Ausweitung öffentlicher und privater Dienstleistungen wuchsen diese Schichten zahlenmäßig stark an. Zum Teil noch geprägt durch die 1968er Generation, wählten sie in den 1970er Jahren überwiegend die SPD, ab den 1980er Jahren zunehmend die Grünen. Der Einfluss der CDU in den Großstädten schrumpfte. Mit dem Übergang zum Neoliberalismus und beschleunigt durch die Agenda 2010 setzte zudem die Erosion der Wählerbasis der SPD ein, die sich seit 1990 halbierte.

Merkels inhaltliche Modernisierung der CDU bestand im Aufgreifen und Einverleiben jener Themen der neuen sozialen Bewegungen der 1980er Jahre, die mit den Interessen des Monopolkapitals vereinbar sind. Das betraf die Klimafrage, den Atomausstieg und viele Minderheitenrechte. Die CDU wurde bündnisfähig für Grüne und ihre Klientel. Die Grünen erwarben die Weihe der „Regierungsfähigkeit“ als neoliberale NATO-Partei mit dem Jugoslawienkrieg und der Agenda 2010 in den Schröder/Fischer-Regierungen 1998-2005. Wahltaktisch agierte die CDU unter Merkel im Sinne der sogenannten „asymmetrischen Demobilisierung“. Gestützt auf die relativ vielen CDU-Stammwähler vermied sie die Polarisierung und den Lagerwahlkampf, so dass Wähler der konkurrierenden SPD kein starkes Motiv hatten, zur Wahl zu gehen.

Die „alte“ CDU/CSU hatte sich immer damit gebrüstet, dass es rechts von ihr keinen Platz für eine weitere Partei gab. Dagegen brachte Merkels Fokussierung auf die neuen Mittelschichten den Verlust an Bindekraft nach rechts. Forciert durch die Eurokrise und die Flüchtlingskrise machte sich eine rechte, neoliberal-völkische Strömung in Form der AfD selbständig, die auch offene Neonazis umfasst und anzieht.

Das Schrumpfen der „Volksparteien“ und die wachsende Ablehnung der Großen Koalition durch die SPD-Basis bewogen die CDU-Führung nach der Bundestagswahl 2017, eine Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP („Jamaika-Koalition“) anzusteuern. Sie scheiterte an der FDP. Noch nach dem Platzen versuchte der CDU-Wirtschaftsrat, eine Neuauflage der GroKo aus CDU und SPD zu vermeiden, da sie, so der Wirtschaftsrat, nach allem, was man von den Sozialdemokraten höre, „nur um den Preis weiterer unbezahlbarer Leistungsversprechen in der Sozialpolitik zu bekommen“ sei. Das Präsidium des Wirtschaftsrats empfahl stattdessen, „die Option einer Minderheitsregierung unter der Führung von Angela Merkel ernsthaft zu prüfen.“[1]

Die Kanzlerin aber verwarf diese Option und wollte nur mit einer stabilen Regierung antreten. Die SPD-Basis – beschäftigt mit der Abstimmung über eine neue Parteiführung – ließ sich mit der Zusage einer „Überprüfung“ der ungeliebten GroKo zur Halbzeit der Legislaturperiode vertrösten. Lange vor der Halbzeit einigte sich die zuvor gegen die GroKo angetretene, neue SPD-Führung mit der Bundestagsfraktion, die GroKo nicht vorzeitig zu beenden. Somit hielt sich die GroKo als eine Art „Brücke“ bis zum nächsten Anlauf auf Jamaika. Dass nach der Wahl 2021 im Bund schwarz-grün regieren werde, mit oder ohne FDP, gilt seit 2017 als gesetzt.

Warum Laschet?

Zu Beginn der Corona-Krise stieg die Zustimmung zur CDU/CSU auf lange nicht gekannte Höhen. Lockdown-Hardliner Söder kam auf Platz 2 der Beliebtheitsskala, hinter Angela Merkel. Eine klare Mehrheit des Wahlvolks hielt ihn als Kanzler für geeignet. Nichtsdestotrotz kürte der CDU-Bundesvorstand den in Umfragen abgeschlagenen Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten. Dies, zusammen mit einem Stocken der Impfkampagne und angesichts der Maskengeschäfte von Abgeordneten, brachte die Umfragewerte der Union wieder nach unten. Holt Laschet nicht rapide auf, riskiert die CDU/CSU im Herbst, nicht, wie gewohnt, die stärkste Partei im Bundestag zu werden. Das passierte ihr zuletzt 2002 mit Edmund Stoiber als Kanzlerkandidaten.

An der Basis von CDU und CSU löste Laschets Nominierung Enttäuschung aus. Die Konzernmedien wiederum fanden an ihm mehr und mehr Charakterzüge, die seine Eignung zum Kanzler unterstreichen. Er sei erfahren, hartnäckig, verbindend, habe Nerven. Was bewog die CDU, die mit seiner Kandidatur verbundenen Risiken einzugehen? Wie verhielt sich der mächtige Wirtschaftsflügel, zu dem die Mehrheit der CDU-Fraktion gehört? Für den Wirtschaftsflügel war Friedrich Merz die erste Wahl. Er ist im Präsidium des Wirtschaftsrats und gilt als fähig, die konservative Komponente der CDU-Politik stark genug herauszukehren, um Wähler, die die CDU unter Merkels Modernisierungskurs an die AfD verlor, wieder einzufangen.

Die Wahl zum CDU-Vorsitzenden gewann jedoch Laschet, ein Vertreter der Merkel-Linie, gegen Merz. Für eine Kanzlerkandidatur fällt Merz 2021 also aus. Merz plädierte daraufhin zügig für Laschet als Kanzlerkandidaten. Carsten Linnemann, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, tat dasselbe. Wichtige Funktionäre des Wirtschaftsflügels setzten somit auf Laschet, nicht auf Söder. Zum einen wollte der CDU-Bundesvorstand damit auch die führende Rolle der CDU gegenüber der kleinen Schwester CSU wahren. Doch zugleich geht es dabei um die Linie der CDU. Merkels Linie ist dem Wirtschaftsflügel schon länger zu „sozialdemokratisch“.

Söders Selbstdarstellung als die konsequentere Merkel-Kopie, sein Umarmen von Bäumen, das Ausspielen der Umfragen gegen Entscheidungen „im Hinterzimmer“, trugen ihm in der CDU-Führung keinen Vertrauenszuwachs, sondern den Populismus-Vorwurf ein. Merkel-Anhänger und der Wirtschaftsflügel stellten sich hinter Laschet. Im Gegenzug wird Laschet, gemessen an der Merkel-Politik, wohl etwas nach rechts rücken, wenn auch nicht genug, um die noch rechteren Kräfte der CDU und die Anhänger der „Werteunion“ zu befriedigen, die kurz danach, gegen alle Ermahnungen der CDU-Führung den Ex-Präsidenten des BRD-Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen als Direktkandidaten in Suhl (Thüringen) aufstellten.

Nach Laschets Nominierung zeichnen die Medien die Frage, wer die künftige Regierung stellen werde, als „völlig offen“. Die Kandidatin der Grünen Baerbock lag zeitweilig in Umfragen vor Laschet und dem SPD-Kanzlerkandidaten Scholz. Es gibt allerdings keine Direktwahl des oder der Kanzlerin. Parteien stehen zur Wahl. Hier lagen CDU und Grüne mit 24 und 25 Prozent im Mai nahezu gleichauf, mit leichtem Vorsprung der Grünen. Die SPD kam auf 14 Prozent, die FDP auf 11, die Linke auf 7 und die AfD auf 11. Wurde gefragt, welche Partei die Regierung anführen soll, plädierten aber 56 Prozent für die CDU/CSU und nur 38 Prozent für die Grünen.[2]

Offene Wahl?

Für fast alles „offen“ geben sich auch die Kanzlerkandidaten. Baerbock ist offen für schwarz-grün mit oder ohne gelb, für grün-rot-gelb (die Ampel) und grün-rot-rot. Olaf Scholz hätte am liebsten die Ampel, nähme aber auch rot-grün-rot. Ob auch eine Neuauflage der GroKo, bleibt offen. Die FDP will mitregieren. Das ginge mit schwarz-grün-gelb (Jamaika) oder der Ampel. Laschet würde gern allein mit der FDP, ist offen für eine GroKo-Fortsetzung und für Jamaika. Ändern sich die Kräfteverhältnisse nicht wesentlich, ist von den diskutierten abstrakten Optionen Jamaika die wahrscheinlichste. Eine Ampelkoalition wäre mit Mühe erreichbar, die anderen Varianten kaum. Somit haben wir es mit vier Parteien zu tun, die reale Chancen haben, an der nächsten Regierung beteiligt zu werden: CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD.

Unisono lassen Parteien, Kandidaten und Kandidatinnen verlauten, es gehe um „Inhalte“, nicht um Koalitionsaussagen. Vermeintliche „Offenheit“ für diverseste Farbkombinationen erspart den Grünen, erklären zu müssen, wie sie ihre verkündeten „Inhalte“ in der Klima- und Sozialpolitik in einer Koalition mit CDU/CSU, die keine Beschneidung großkapitalistischer Interessen duldet, durchsetzen wollen. In sechs Landesregierungen koalieren die Grünen mit der CDU, in fünf mit der SPD. Winfried Kretschmann, der sich in Baden-Württemberg erneut für schwarz-grün entschied, nannte als Grund, die CDU habe einen guten Draht zur Wirtschaft, und diese müsse für die Energiewende gewonnen werden. Annalena Baerbock sagt: „Ich stehe für Veränderung. Für den Status Quo stehen andere.“ Erkennbare Veränderung bewirkten die elf Landesregierungen, an denen die Grünen seit Jahren beteiligt sind, aber nicht.

Unterschiede in den „Inhalten“ sind nur in Nuancen erkennbar. In der Außenpolitik sind CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD für die Stärkung der NATO, d.h., weitere Aufrüstung, inklusive Großprojekte wie das FCAS. CDU/CSU und FDP pochen auf formelles Einhalten des Zwei-Prozent-Ziels der NATO. Die Grünen wollen vom Bedarf der Bundeswehr ausgehen. Die SPD will Ausgaben für Entwicklungshilfe mitrechnen und parallel über Abrüstung verhandeln. CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD wollen die EU als Vehikel deutscher Weltpolitik handlungsfähiger machen. Sie soll auf Augenhöhe mit den USA agieren. Russland und China sind zu Feindbildern erklärt. Imperialistische Aggression, Einmischung, Wirtschaftssanktionen im Namen „westlicher Werte“ sind Teil der Weltmachtausstattung der EU. Die Grünen tun sich als „Werteimperialisten“ besonders hervor. Als einzige lehnen sie zudem Nordstream 2 ab.

In der Klimapolitik liegen die Unterschiede im Tempo des ökologischen Umbaus und in der Frage, ob er primär vom Privatkapital oder durch staatliche Eingriffe zu steuern sei. CDU/CSU und FDP wollen zwar gesteigerte staatliche Infrastrukturinvestitionen, in schnelles Internet, Elektromobilität, Bildungswesen, etc. Primär soll der Wandel aber dem „innovativen Unternehmertum“ überlassen bleiben. Zu viel staatliche Lenkung prangern sie als „Bevormundung“ und „sozialistische Planwirtschaft“ an. Den Grünen und tendenziell auch der SPD geht es ohne Staatseingriffe zu langsam. Zudem sei eine soziale Abfederung allein durch Marktmechanismen nicht möglich, so dass der Umbau zu einer „sozialen Schieflage“ führe, die ihn letztlich gefährde. Die Grünen fordern die Ausschüttung der CO2-Steuereinnahmen in Form eines pro Kopf zu bemessenden „Energiegeldes“. Auch die SPD will einen Ausgleich für die Bürger.

Respekt statt Umverteilung

Bei sozialen Themen fordern Grüne und SPD vieles, dem weder CDU noch FDP zustimmen werden: Mietpreisbremse und/oder bundesweiter Mietendeckel, Abschaffung einiger der von Grünen und SPD einst eingeführten Hartz4-Regeln, Bürgerversicherung, höhere Steuern für Reiche. Die SPD will die Schuldenbremse „in ihrer derzeitigen Form“ perspektivisch überwinden. Die Grünen wollen staatliche Investitionen von der Bremse ausnehmen. CDU/CSU und FDP, die im Fall von Jamaika oder Ampel zustimmen müssten, lehnen solche Forderungen strikt ab. Aus ihrer Sicht brauchen die Unternehmer und Besitzenden höhere Profite, um die Wirtschaft anzukurbeln. Steuererhöhungen seien Gift. Die Schulden aus der Coronakrise müssten wieder abgebaut werden. Das sehen die Unternehmerverbände genauso. Vorsorglich stellen die Grünen alle ihre Forderungen unter „Finanzierungsvorbehalt“.

Keine der „regierungsfähigen“ neoliberalen NATO-Parteien plant, soziale Missstände und Verwerfungen, die die die Coronakrise offengelegt hat, zu überwinden. Im Gegenteil: Klinikschließungen gehen weiter. Das Pflegepersonal wird nicht ausreichend entlastet, Pflegeberufe nicht attraktiver. Das Gesundheitswesen soll auch künftig der Profiterzielung dienen. Gesundheit soll eine Ware bleiben. Keine der Jamaika- und Ampel-Parteien stellt die soziale Polarisierung infrage, die den oberen zehn Prozent nahezu sechzig Prozent des Vermögens einbrachte und dem obersten 1 Prozent genauso viel wie den unteren 75 Prozent zusammen. Die Reichen wissen, über welche Hebel sich verhindern lässt, dass ihre Vermögen durch ökologischen Umbau zu schnell entwertet oder ihre Profite durch „Sozial-Klimbim“ geschmälert werden.

Es sind die ökonomischen Machtverhältnisse, die die Demokratie in der Realität aushebeln. Die Farbkombination künftiger Koalitionen im Reichstag mag offen sein. Nicht offen ist, dass die Parteigänger der ökonomisch herrschenden Klasse auch in der nächsten Regierung alles abblocken werden, was ihren Interessen widerspricht. Die SPD besitzt einschlägige Erfahrungen der Juniorpartnerschaft in CDU/CSU- geführten Bundesregierungen. Ihrem Wahlprogramm gab sie den Titel: „Zukunft. Respekt. Europa“. Zuvor verfasste Olaf Scholz in der FAZ ein „Plädoyer für eine Gesellschaft des Respekts“. Nicht ohne Sarkasmus, aber zutreffend stellt dazu ein Beitrag des Jacobin fest: „Die Formel ‚Respekt‘ dient hier vor allem als Platzhalter, um zu kaschieren, dass es für eine gerechtere Verteilung keinen Plan gibt.“[3]

In der Coronakrise wurden die Reichen noch reicher. Solange die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sich weiterhin so entwickeln, ist garantiert, dass die meisten der gut klingenden Wahlversprechen Papier bleiben werden. Die Last des Schuldenabbaus nach der Coronakrise, die Belastungen und Unsicherheiten anstehender Transformationen, des ökologischen Umbaus, der Digitalisierung, werden in der Hauptsache den lohnabhängigen Massen aufgebürdet werden. Steigende CO2-Abgaben „Ja“, aber kein „Energiegeld“ – das wird die Art von Kompromissen sein, auf die die „Regierungsfähigen“ sich einigen. Schon jetzt fällt die Rentenerhöhung 2021 weg, steigen die Kosten für Miete, für Energie, für Lebensmittel und Reisen.

Die AfD bleibt im Spiel

Neben dem Kartell der vier neoliberalen NATO-Parteien, die miteinander koalitionsfähig und aus Sicht der Konzernmedien „regierungsfähig“ sind, agiert im Bundestag die AfD als fünfte neoliberale Partei, die sich selbst als Partei des „bürgerlichen Lagers“ sieht. Als „bürgerlich“ gelten für sie außer AfD nur CDU/CSU und FDP. Beide wollen derzeit nicht mit der AfD koalieren. Sie beanspruchen für sich, auf dem „westlichen Wertekanon“ zu stehen, und fürchten zu Recht, auf nationaler und EU-Ebene an Integrationskraft zu verlieren und sich selbst zu zersetzen, würden sie mit einer Partei koalieren, die in ihren Reihen einen offen faschistischen Flügel duldet. Trotz dieser Absage bleibt die AfD weiterhin im Spiel, wenn es um Koalitionen geht.

Besonders in einigen östlichen Bundesländern ist das reaktionäre Potential in der Tradition der konterrevolutionären Wende stark genug, um in der CDU immer wieder Neigungen für eine direkte oder indirekte Zusammenarbeit mit der AfD laut werden zu lassen. Dies hängt zweifellos mit der Deindustrialisierung, Prekarisierung und Verödung zusammen, die die Wende für weite Landstriche im Osten gebracht hat. Anhaltende soziale Verwerfungen reproduzieren diese Lage. Rechtsextreme Kräfte wie Pegida und AfD greifen Enttäuschung und Protest auf und lenken von den kapitalistischen Ursachen ab. Stattdessen fordern sie eine „Wende 2.“, das heißt, noch mehr Kapitalismus. Dies ist ein klassisches Beispiel für die von Rainer Opitz analysierte Auffang- und Ableitungsfunktion rechtsextremer und neonazistischer Kräfte.

Neben der Auffang- und Ableitungsfunktion nennt Opitz weitere Funktionen des Faschismus in Zeiten, „in denen sich die vom Monopolkapital als sicherste Herrschaftsform bevorzugte ‚friedliche‘ Volksintegration in dessen jeweiligen politischen Herrschaftswillen zufriedenstellend vollzieht und es keiner faschistischen Diktatur bedarf“. Dazu zählt er die „aktive Antreiberfunktion in der Rechtsentwicklung“, die „langfristige ideologische Umorientierungsfunktion“ und die „terroristische Einschüchterungs- und Hilfspolizei-Funktion gegenüber demokratischen Bewegungen“.[4] Leicht auszumalen ist, dass die Möglichkeiten faschistischer und präfaschistischer Kräfte, diese und weitere systemstabilisierende Funktionen zu erfüllen, im Fall ihrer Beteiligung an „bürgerlichen Koalitionen“ sprunghaft anwachsen würden. Bereits die Bildung und Akzeptanz solcher Koalitionen würde eine neue Etappe der Rechtsentwicklung markieren.

Zur Taktik der AfD gehört, die Akzeptanz solcher Koalitionen durch die Wahl und Duldung von CDU-Minderheitsregierungen voranzutreiben. In Thüringen scheiterte dies im Februar 2020 letztlich an dem Proteststurm, den Kemmerichs Wahl bis in die CDU- und FDP-Basis hinein hervorrief. Es wird aber neue Versuche dieser Art geben. Da CDU und FDP zusammen in der Regel keine „bürgerlichen Parlamentsmehrheiten“ mehr stellen und meist auf SPD oder Grüne als Mehrheitsbeschaffer angewiesen sind, wird die Suche nach Alternativen im „bürgerlichen Lager“ andauern. Dass das Präsidium des CDU-Wirtschaftsrats bereits 2017 empfahl, „die Option einer Minderheitsregierung unter Führung von Angela Merkel ernsthaft zu prüfen“, die von Fall zu Fall auch auf die Stimmen der AfD hätte zurückgreifen können, zeigte schon damals die Bandbreite des Nachdenkens innerhalb der Bourgeoisie.

Und die Linken?

Mit den vier miteinander koalitionsfähigen neoliberalen NATO-Parteien CDU/CSU, FDP, Grüne, SPD und der neoliberal-rechtsextremen AfD als Reserve ist das politische Herrschaftssystem der Monopolbourgeoisie in der Bundesrepublik trotz ökonomischer Krisen relativ stabil. Von den künftigen Koalitionsvarianten bevorzugt das Monopolkapital Jamaika. Die auch noch im Bereich des Möglichen liegende Ampelkoalition unterscheidet sich nicht wesentlich davon. In beiden Varianten gäbe es den gleichen Block an der Macht. CDU und/oder FDP wären als direkte Interessenvertretung des Monopolkapitals dabei. Mittels der Grünen wären die neuen lohnabhängigen Mittelschichten eingebunden oder über die SPD die auf Sozialpartnerschaft und Co-Management setzenden Oberschichten der Arbeiterklasse. Justiz und Beamtenapparat sind ohnehin eingespielt. Beim Austragen sozialer Konflikte käme der AfD weiterhin die Auffang- und Ableitungsfunktion eines Teils des Protestpotentials zu.

Die Partei Die Linke ist in vier Landesregierungen vertreten. Im Bund ist eine grün-rot-rote Koalition nicht realistisch. Eine Parlamentsmehrheit dafür ist unwahrscheinlich. Zwar schließen SPD und Grüne sie verbal nicht aus. Doch Scholz will eine Ampel-Koalition mit der FDP und die Grünen fordern von der Partei Die Linke, sich positiv zur NATO zu bekennen. CDU/CSU und FDP haben wiederum begonnen, rot-rot-grün als Schreckgespenst an die Wand zu malen, ein Rezept, mit dem Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Saarlandwahl 2017 den Hype um Martin Schulz beendete. In einem Aufschwung außerparlamentarischer Kämpfe für soziale und demokratische Rechte, für Frieden und internationale Solidarität lässt sich eine von der Rechten inszenierte, antisozialistische Hysterie neutralisieren. Ob und wann es nach der Coronakrise zu einem neuen Aufschwung kommen wird, ist jedoch offen.

Ohnehin ist es eine Illusion, zu glauben, die gegenwärtige Richtung der Politik ließe sich allein durch Wahlen ändern. Vorrang hat der außerparlamentarische Kampf in und mit den Gewerkschaften und anderen demokratischen Bewegungen. Diesen Vorrang betont nur die DKP. Sie tritt in elf Ländern und mit ein paar Direktkandidaten zur Bundestagswahl an, um den Diskurs im Wahlkampf mitbeeinflussen zu können. Eine Chance, ins Parlament zu kommen, hat sie nicht. Folgende Themen will die DKP einbringen: Gegen die Macht der Banken und Konzerne – für die Interessen der Mehrheit! Gegen das Abwälzen der Krisenlasten auf die Werktätigen – die Reichen sollen zahlen! Gegen Krieg und Hochrüstung – für Frieden mit Russland und China! Gegen den Abbau sozialer und demokratischer Rechte – für Klassensolidarität! Für Sozialismus und Planung! DKP stärken und selbst aktiv werden!

(erschien zuerst in Marxistische Blätter 4-2021)


[1] Vgl.: Beate Landefeld, Sorgen einer Minderheit – ein Vorstoß des CDU-Wirtschaftsrats. Kolumne in: Unsere Zeit – Zeitung der DKP vom 9.12.2017

[2] ZDF-Politbarometer vom 21. Mai 2021

[3] Karambeigi/Schwerdtner, Von Respekt allein kann sich niemand etwas kaufen, Jacobin 13.03. 2021

[4] Reinhard Opitz, Faschismus und Neofaschismus 2, Köln 1988, S. 15ff.

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