Kategorie-Archiv: Geschichte

Deutsche Spaltung und Europastrategie des deutschen Kapitals

Von Beate Landefeld

Kapital muss expandieren, um in der Konkurrenz zu bestehen. Nationale Grenzen wurden dabei von Beginn an überschritten. Englands Rolle als Großmacht beruhte auf seinen Kolonien. Schon 1841, Jahrzehnte vor der Reichsgründung, beschäftigte sich Friedrich List, der erste bedeutende Ökonom des deutschen Bürgertums, mit der „Mitteleuropaidee“. Ausgehend von der geografischen Lage und Größe Deutschlands, bildet sie bis heute den Kern der Europastrategien des deutschen Kapitals. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass Wirtschaftsgroßräume günstigere ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten bieten als kleine Länder.

1. Traditionen deutscher Europastrategie

Um den Abstand zum ökonomisch führenden England zu verringern, empfahl List, Holland mitsamt seinen Kolonien „zum Anschluss an den Zollverein zu zwingen“.1 Anzustreben sei eine „Continental-Allianz“, in der später auch England gegen die künftige „amerikanische Übermacht“ Schutz suchen könne. Auch riet List zur Steuerung der deutschen Auswanderung: „[W]ir haben Hinterland (blackwoods) so gut wie die Amerikaner – die Länder an der untern Donau und am Schwarzen Meer – die ganze Türkei – der ganze Südosten jenseits Ungarn ist unser Hinterland.“2 Statt nach Nordamerika auszuwandern, sei es sinnvoller, wenn deutsche Auswanderer „in Brüderschaft mit Ungarn“ Südosteuropa bis zum Schwarzen Meer kolonisierten.

Weiterlesen

Kräfteverhältnisse und Formen der Ostexpansion

Von Beate Landefeld

Dem Kapitalismus wohnt die Tendenz zur Expansion inne. Ihre Formen wechseln unter dem Einfluss von Kräfteverhältnissen. Es gibt verschiedene Ebenen von Kräfteverhältnissen, die sich nicht gleichmäßig entwickeln müssen: ökonomische, politische, ideologisch-kulturelle, militärische. Letztlich zentral sind die ökonomischen Kräfteverhältnisse, da sie für die anderen Ebenen die Ressourcen bereitstellen. Innere (nationale) und äußere (internationale) Kräfteverhältnisse hängen zusammen.

Nach 1945 gab es in der Entwicklung der internationalen Kräfteverhältnisse mehrere Wendepunkte, die jeweils den Beginn einer neuen, durch bestimmte Merkmale geprägten Etappe geopolitischer und gesellschaftspolitischer Entwicklungen markierten. Weiterlesen

Parteien in der marxistischen Theorie

„Die politischen Parteien sind der Reflex und die Nomenklatur der Gesellschaftsklassen. Sie entstehen, entwickeln sich, lösen sich auf, erneuern sich, je nachdem, ob die einzelnen Schichten der kämpfenden Gesellschaftsklassen Verschiebungen von wirklich geschichtlicher Tragweite unterliegen, ihre Existenz- und Entwicklungsbedingungen radikal verändert sehen, eine größere und klarere Bewusstheit ihrer selbst und der eigenen vitalen Interessen erwerben.“[i] Gramsci schrieb dies 1920 in einer Phase großer Umbrüche im Parteiensystem Italiens. Bürgerliche Parteien zersetzten sich. Kampfbünde entstanden. Es gab Zeichen für den kommenden Übergang der konstitutionell-parlamentarischen Monarchie zur Diktatur. Die italienische Kommunistische Partei war dabei, sich aus der Sozialistischen Partei heraus zu formieren.

Schon Marx charakterisierte in seinen politischen Schriften die Parteien anhand der sozialen Klassen und Schichten, aus denen sie hervorgingen und die sie vertraten. Seine Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte über die Phasen der 1848er Revolution in Frankreich ist auch eine Studie über die Parteien der Zweiten Französischen Republik. Sie bildeten sich aus den Elementen, „die die Revolution vorbereitet oder bestimmt hatten, dynastische Opposition, republikanische Bourgeoisie, demokratisch-republikanisches Kleinbürgertum, sozial-demokratisches Arbeitertum“. Alle fanden „ihren provisorischen Platz in der Februar-Regierung“.[ii] Weiterlesen

Vor 50 Jahren – Gründung des MSB Spartakus (1971-1990)

Von Beate Landefeld

Am 20./21. Mai 1971 gründeten in Bonn 218 Delegierte aus 45 Gruppen mit 1000 Mitgliedern an Hoch- und Fachhochschulen der Bundesrepublik den Marxistischen Studentenbund Spartakus. Er bestand bis Juni 1990. In den zwei Jahrzehnten seines Wirkens gewann er beachtlichen Einfluss in der Studentenschaft. In den 1970er Jahren hatte er bis zu 6500 Mitglieder und Gruppen an allen größeren Hochschulen. Er nahm im Bündnis mit dem Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) Einfluss auf Fachschaftsräte, Studentenparlamente, Allgemeine Studentenausschüsse und den Dachverband VDS. Mit seinem Namen stellte sich der Spartakus in die Tradition der KPD/DKP. In der Geschichte der BRD war er die erste und bisher letzte mit der kommunistischen Partei verbundene Studentenorganisation.

Vorgänger waren die sogenannten „Traditionalisten“ im SDS.[1] Der SPD-Studentenverband bekämpfte den Kurs der SPD-Führung auf Remilitarisierung und Westbindung, blieb kapitalismuskritisch und antiimperialistisch und wurde daher 1960 aus der SPD hinausgeworfen. Danach orientierte sich ein Teil der SDS-Führung an der Neuen Linken Englands und Frankreichs. Der SDS war Teil der außerparlamentarischen Opposition gegen Remilitarisierung und Atomwaffen, gegen Kolonialismus, den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze, gegen NPD und Große Koalition. Neben linken Sozialdemokraten und Sozialisten gab es im SDS in kleiner Anzahl auch KPD-nahe Studenten. Nach dem 2. Juni 1967 überwogen die „Antiautoritären“. Sie spielten auf dem Höhepunkt der 1968er Studentenbewegung die führende Rolle. Weiterlesen

Marx, Engels, Lenin und Deng – auf Umwegen zum Sozialismus?

Von Beate Landefeld

Marx und Engels leiteten aus den inneren Widersprüchen des Kapitalismus seine Vergänglichkeit ab. Aus der Lösung der grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Systems ergeben sich die allgemeinen Merkmale der künftigen, kommunistischen Gesellschaft. Der Widerspruch zwischen der Vergesellschaftung der Produktion und der privaten Aneignung ihrer Ergebnisse ist durch die Überführung der entscheidenden Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum lösbar. Die Interessenlage der von ihren Produktionsmitteln getrennten, ausgebeuteten Arbeiterklasse verleiht dieser die Potenz, die politische Macht zu erringen, um der Bourgeoisie „nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren“.[1] An die Stelle der Anarchie des Marktes tritt die bewusste Planung der Produktion gemäß den Bedürfnissen der Menschen. Im Verlauf der ökonomischen Umwälzung werden Ware, Wert, Handel und Geld überflüssig und irgendwann verschwinden. Weiterlesen

Der Kampf gegen rechts im Spiegel der DKP-Programme

– zum 90. Geburtstag von Willi Gerns

Willi Gerns gehörte bis 1991 zur Parteiführung der DKP und gilt als Architekt der DKP-Programme. Zusammen mit Robert Steigerwald schrieb er Bücher und Beiträge zur Erläuterung der theoretischen Grundlagen, historischen Erfahrungen und konkreten Analysen, auf denen die Programme basierten. Diskussionsthema war immer wieder die antimonopolistische Strategie. In diesem Beitrag soll die Frage im Mittelpunkt stehen, wie sich in den Programmen der DKP seit 1969 die Rechtsentwicklung und der Kampf gegen rechts widerspiegeln. Wie sah der Kampf gegen rechts in verschiedenen Etappen der Entwicklung der BRD aus? Wann waren wir erfolgreich? Lässt sich daraus für den heutigen Kampf gegen rechts lernen?

Als die DKP im April 1969 ihre Grundsatzerklärung beschloss, lag die Niederlage des Hitlerfaschismus 25 Jahre zurück. Der Sozialismus erstarkte, das Kolonialsystem war weitgehend zerbrochen, die Kämpfe der Arbeiterklasse in den Ländern des Kapitals nahmen zu. In der Bundesrepublik zeigte sich im Aufschwung der APO ein wachsendes demokratisches Potential. Die Grundsatzerklärung definierte das System der BRD als staatsmonopolistischen Kapitalismus. „Notstandsstaat und Rechtskurs nach innen, aggressives Großmachtstreben nach außen, Militarisierung der Gesellschaft und Manipulierung des Menschen“ charakterisierten ihn. Das Großkapital übte die politische Macht aus, „unmittelbar oder mittelbar über seine Beauftragten in Parteien und Parlamenten, über den Einfluss auf die staatliche Exekutive und übernationale Organe wie die EWG und vor allem über die Unternehmerverbände“.

Weiterlesen

Anläufe zur Formierung einer revolutionären deutschen Arbeiterpartei

Von Beate Landefeld

„Die deutsche Arbeiterbewegung und der deutsche Sozialismus hatten von Anbeginn eine internationale Richtung,“[1] beginnt Franz Mehrings Geschichte der Sozialdemokratie. 1815-1830 wurden Demokraten fast überall in Europa polizeilich verfolgt. Politische Flüchtlinge sammelten sich in Paris, London, der Schweiz im Exil. Andere wanderten in die USA aus. Nach der Julirevolution und der belgischen Revolution 1830 zog es Demokraten aller Länder nach Paris und Brüssel. In Paris organisierten sich revolutionäre Arbeiter in sozialistischen Geheimgesellschaften, die, laut Friedrich Engels, „halb Verschwörung, halb Propagandaverein“ waren. Eine war die von Auguste Blanqui geführte Gesellschaft Vier Jahreszeiten. Man übte Systemkritik, diskutierte Gesellschaftsentwürfe und Genossenschaftspläne der utopistischen Sozialisten, bereitete Aktionen vor. Begehrte Lektüre war die Geschichte der Verschwörung der Gleichen, verfasst von Buonarotti, dem Kampfgefährten des hingerichteten Sozialisten Babeuf. Der Bund der Gerechten war der deutsche Zweig der Vier Jahreszeiten. Als 1839 ein Aufstandsversuch fehlschlug, musste er seinen Sitz nach London verlegen. Im industriell entwickelteren England hatte er Kontakt zur Chartistenbewegung. Linke Chartisten, Revolutionäre aus Ungarn und Polen wirkten im Bund mit.

Weiterlesen

Lenin über revolutionär-demokratische Aufgaben im Imperialismus

Von Beate Landefeld

Der Kampf um Demokratie war für Lenin unverzichtbarer Teil der Vorbereitung der sozialistischen Revolution. Zum einen, weil in einem Land wie Russland die demokratische Revolution noch ausstand und es auch in entwickelten Ländern noch demokratische Aufgaben zu lösen gab, wozu die Bourgeoisie nicht mehr fähig war. Zum anderen, weil das imperialistische Stadium des Kapitalismus zwar in der Ökonomie die materiell-technische Basis für den unmittelbaren Übergang zum Sozialismus schuf, zugleich aber mit seiner Tendenz zur politischen Unterdrückung nach innen und außen neue Gründe für Demokratiebewegungen produzierte. Nationale und demokratische Befreiungsbewegungen sah Lenin als Teil des weltrevolutionären Prozesses. Zwischen dem revolutionären Kampf um Demokratie und dem Kampf um Sozialismus gab es für ihn keine chinesische Mauer. Beide Etappen sind zwar analytisch zu unterscheiden, aber in der Realität verflechten sich Elemente der einen mit Elementen der anderen. Allein der Grad der politischen und sozialen Formierung des revolutionären Subjekts und das damit erreichbare Kräfteverhältnis entscheiden, wie weit es der zweiten Etappe gelingt, über die erste hinauszuwachsen.[1]

Weiterlesen

Formation, Stadium, Regime – zur Periodisierung des Kapitalismus

von Beate Landefeld

Nach dem Erscheinen meines Artikels „Zur Struktur der herrschenden Klasse“i schrieb mir ein Student aus Marburg erfreut, dass er den Artikel für eine Seminararbeit gut gebrauchen könne. Einen Dissens meldete er auch an: „Inhaltlich widersprechen würde ich nur darin, dass du den Neoliberalismus bzw. den finanzmarktgetriebenen Kapitalismus als eine Unterart des Stamokapii ansiehst, ich bin eher der Meinung, dass Ersterer den Letzteren ersetzt hat … SMK hängt für mich untrennbar mit Keynesianismus zusammen.“

Weiterlesen

Deutscher Erdölimperialismus 1938-1941

Dietrich Eichholtz: Deutsche Politik und rumänisches Öl (1938-1941). Eine Studie über Erdölimperialismus, Leipziger Universitätsverlag 2005, 68 Seiten.

Autobahnbau und “Motorisierung”, Projekte der Nazi-Diktatur, die in der Propaganda als “Arbeitsbeschaffung” angepriesen wurden, waren Teil von Hitlers Kriegsvorbereitung. Daß die Schaffung eines motorisierten Massenheers, einer modernen Luftwaffe und Kriegsflotte einen rapide ansteigenden Bedarf an Treibstoff mit sich bringt, den Deutschland zu Beginn der Hitler-Diktatur keineswegs zu decken in der Lage war, ist ein Aspekt, der im Geschichtsunterricht meiner Schulzeit keine Rolle spielte. Die vorliegende Arbeit von Dietrich Eichholtz beleuchtet gerade diese wichtige Frage. Dabei wird sichtbar, wie ökonomischer Expansionsdrang, politischer Weltgeltungsanspruch und militärische Agressionspolitik in der untersuchten Phase “Hand in Hand” erfolgreich funktionierten.

Weiterlesen