Lenin zur Arbeitsmigration und die Migration heute

Beate Landefeld

Lenin schrieb 2013 den Artikel ‚Kapitalismus und Arbeiterimmigration‘. An den Anfang stellte er die Wahrnehmung, der Kapitalismus habe „eine besondere Art der Völkerwanderung“ entwickelt. Höhere Löhne in den entwickelten Ländern lockten Arbeiter aus zurückgebliebenen Ländern an, die auf diese Weise in ferne Länder verschlagen und gewaltsam in den Kreislauf des fortgeschrittenen Kapitalismus hineingerissen würden. Dann bewertete Lenin die Migration auf folgende Weise:

Es besteht kein Zweifel, dass nur äußerstes Elend die Menschen veranlasst, die Heimat zu verlassen, und dass die Kapitalisten die eingewanderten Arbeiter in gewissenlosester Weise ausbeuten. Doch nur Reaktionäre können vor der fortschrittlichen Bedeutung dieser modernen Völkerwanderung die Augen verschließen. Eine Erlösung vom Joch des Kapitals ohne weitere Entwicklung des Kapitalismus, ohne den auf dieser Basis geführten Klassenkampf gibt es nicht und kann es nicht geben. Und gerade in diesen Kampf zieht der Kapitalismus die werktätigen Massen der ganzen Welt hinein, indem er die Muffigkeit und Zurückgebliebenheit des lokalen Lebens durchbricht, die nationalen Schranken und Vorurteile zerstört und Arbeiter aller Länder in den großen Fabriken und Gruben Amerikas, Deutschlands, usw. miteinander vereinigt.“[1]

Weiterlesen

Eigentums- und Machtverhältnisse bei Daimler, BMW und VW

Von Beate Landefeld

Von ehemals vielen deutschen Autoherstellern blieben drei, Daimler, BMW und VW übrig. Die drei sind Weltkonzerne. Nach der Liste Fortune Global 500 für 2018 ist VW der weltweit siebtgrößte Konzern überhaupt und der zweitgrößte Autokonzern nach Toyota. Daimler belegt in der Branche den 3. Platz, den 16. bei allen Konzernen. BMW hat Platz 8 bei den Autokonzernen und Platz 51 bei allen Konzernen, vor Siemens (Platz 66). Daimler, BMW und VW überlebten andere Hersteller, indem sie sich diese im Verlauf von 130 Jahren Konzentration und Zentralisation einverleibten, sofern nicht ein großer US-Monopolist ihnen zuvorkam, wie 1929 General Motors im Fall der Opel AG. Schon in den 1950er und 1960er Jahren eröffneten Daimler-Benz, BMW, VW Filialen in den USA, Lateinamerika, Südafrika. Die Schaffung des EU-Binnenmarkts und die als „Globalisierung“ verklärte, gegenseitige Marktöffnung für die monopolistische Konkurrenz in den 1990er Jahren machten die Bahn frei für Übernahmen in West- und Südeuropa. Chinas Öffnung 1978 und der Fall der Mauer 1989 ebneten den Weg für Joint Ventures und Investitionen in Osteuropa und Asien.[1] Weiterlesen

Anläufe zur Formierung einer revolutionären deutschen Arbeiterpartei

Von Beate Landefeld

„Die deutsche Arbeiterbewegung und der deutsche Sozialismus hatten von Anbeginn eine internationale Richtung,“[1] beginnt Franz Mehrings Geschichte der Sozialdemokratie. 1815-1830 wurden Demokraten fast überall in Europa polizeilich verfolgt. Politische Flüchtlinge sammelten sich in Paris, London, der Schweiz im Exil. Andere wanderten in die USA aus. Nach der Julirevolution und der belgischen Revolution 1830 zog es Demokraten aller Länder nach Paris und Brüssel. In Paris organisierten sich revolutionäre Arbeiter in sozialistischen Geheimgesellschaften, die, laut Friedrich Engels, „halb Verschwörung, halb Propagandaverein“ waren. Eine war die von Auguste Blanqui geführte Gesellschaft Vier Jahreszeiten. Man übte Systemkritik, diskutierte Gesellschaftsentwürfe und Genossenschaftspläne der utopistischen Sozialisten, bereitete Aktionen vor. Begehrte Lektüre war die Geschichte der Verschwörung der Gleichen, verfasst von Buonarotti, dem Kampfgefährten des hingerichteten Sozialisten Babeuf. Der Bund der Gerechten war der deutsche Zweig der Vier Jahreszeiten. Als 1839 ein Aufstandsversuch fehlschlug, musste er seinen Sitz nach London verlegen. Im industriell entwickelteren England hatte er Kontakt zur Chartistenbewegung. Linke Chartisten, Revolutionäre aus Ungarn und Polen wirkten im Bund mit.

Weiterlesen

SPD-Krise und Erneuerungsdiskussion

Von Beate Landefeld

Mit einem Drittel gegen zwei Drittel der Beteiligten votierten beim SPD-Mitgliederentscheid am Ende weniger als erhofft gegen eine weitere Große Koalition. Angesichts der Stimmung unter den Aktiven, in den Ortsvereinen hatten viele ein knapperes Ergebnis erwartet. Immerhin waren bis zum März 2018 Zehntausende ehemalige Mitglieder und Anhänger dem Ruf der GroKo-Gegner „Tritt ein, sag nein!“ gefolgt. Doch sie stellen nur einen kleinen Bruchteil derer, die die SPD in den vergangenen Jahrzehnten verließen. Nach 1945 hatte die SPD ihren Höchststand an Mitgliedern und Wählern am Ende der 1960er und in der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Es war die Zeit der APO, der starken außerparlamentarischen Opposition gegen die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg der USA, für die Demokratisierung des Bildungswesens und eine Wende vom Kalten Krieg zur Entspannung. Die APO schuf die Stimmung im Volk, in der Willi Brandts Ruf „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ Resonanz fand. 1968 bis 1976 wuchs die SPD um 40 Prozent auf 1022191 Mitglieder. Weiterlesen

Lenin über revolutionär-demokratische Aufgaben im Imperialismus

Von Beate Landefeld

Der Kampf um Demokratie war für Lenin unverzichtbarer Teil der Vorbereitung der sozialistischen Revolution. Zum einen, weil in einem Land wie Russland die demokratische Revolution noch ausstand und es auch in entwickelten Ländern noch demokratische Aufgaben zu lösen gab, wozu die Bourgeoisie nicht mehr fähig war. Zum anderen, weil das imperialistische Stadium des Kapitalismus zwar in der Ökonomie die materiell-technische Basis für den unmittelbaren Übergang zum Sozialismus schuf, zugleich aber mit seiner Tendenz zur politischen Unterdrückung nach innen und außen neue Gründe für Demokratiebewegungen produzierte. Nationale und demokratische Befreiungsbewegungen sah Lenin als Teil des weltrevolutionären Prozesses. Zwischen dem revolutionären Kampf um Demokratie und dem Kampf um Sozialismus gab es für ihn keine chinesische Mauer. Beide Etappen sind zwar analytisch zu unterscheiden, aber in der Realität verflechten sich Elemente der einen mit Elementen der anderen. Allein der Grad der politischen und sozialen Formierung des revolutionären Subjekts und das damit erreichbare Kräfteverhältnis entscheiden, wie weit es der zweiten Etappe gelingt, über die erste hinauszuwachsen.[1]

Weiterlesen

Trump, Deutschland und die EU

Von Beate Landefeld

Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten anstelle der favorisierten Hillary Clinton löste in Berlin und Brüssel blankes Entsetzen aus. Die Stimmung beschreibt Jana Puglierin, die Leiterin des Alfred-Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen, eines bei der DGAP angesiedelten Thinktanks:

„Das Brexit-Referendum und die Wahl Donald Trumps – beide Ereignisse sieht man in Deutschland als zwei Seiten ein- und derselben Medaille – fühlten sich für Berlin wie politische Erdbeben an. In beiden Fällen waren die Deutschen abends hochgestimmt ins Bett gegangen und beim Aufwachen mit einer neuen Realität konfrontiert. Beide Ereignisse wurden als existentielle Bedrohungen der zentralen Parameter deutscher Außenpolitik wahrgenommen: der EU und einer starken transatlantischen Allianz. Schlimmer noch, viele in Berlin fürchten, dass beide Ereignisse sich in ihrer negativen Auswirkung auf die EU gegenseitig verstärken könnten.“[1]

Die herrschende Klasse der EU-Führungsmacht Deutschland stören vor allem zwei Dinge im Auftreten des neuen US-Präsidenten:

a) dass er nicht eindeutig auf die NATO-Klausel des automatischen militärischen Beistands schwört, sondern die NATO-Partner beschuldigt, ihr Anteil an den militärischen Lasten des überdehnten US-Imperiums sei zu gering;

b) dass er auf chronische Handelsungleichgewichte, zu denen Deutschlands permanente Exportüberschüsse beitragen, mit protektionistischen Mitteln reagieren will. Weiterlesen

Zwischenimperialistische Widersprüche in der EU

Als die „Handvoll Großmächte, die die Welt beherrschen“ beschrieb Lenin 1916 die „alten“ kapitalistischen Länder England und Frankreich, die „jungen“ Deutschland, USA, Japan, das rückständige Russland, abhängig von britischen und französischen Banken. 1945, nach zwei Weltkriegen, lag der als Kolonialmacht zu spät und zu kurz gekommene, daher besonders aggressive, deutsche Imperialismus am Boden. Die USA produzierten die Hälfte des Welt-BIP. Die SU hatte massiv an Einfluss und Autorität gewonnen. Das Kolonialsystem befand sich im Zusammenbruch. Unter diesen Kräfteverhältnissen wurde die Frage, wie der deutsche Imperialismus unten zu halten sei, für die westliche Führungsmacht zweitrangig. Sie begann den Kalten Krieg. Die zwischenimperialistischen Widersprüche in Europa wurden durch die bipolare Systemkonkurrenz überdeterminiert.

Weiterlesen

Krieg und Frieden und die Rolle des Kapitals

I. Zu den ökonomischen Grundlagen der Aggressivität

Kapitalismus braucht Expansion. Schon die Frühphase, die sogenannte „ursprüngliche Akkumulation“ ging einher mit kolonialen Eroberungen. In der Zeit der Industrialisierung hatten Länder, die Kolonien besaßen, wie England, aufgrund ihres Zugangs zu Märkten und Rohstoffen einen „Wettbewerbsvorteil“ und entwickelten sich schneller als andere.

Um 1900 herum setzte sich der Monopolkapitalismus/Imperialismus durch. Die damit verbundenen neuen Phänomene wurden in der Arbeiterbewegung intensiv diskutiert. Käte Duncker, SPD-Linke, trug 1914 auf Frauenschulungen „Leitsätze über die wirtschaftlichen Ursachen des Krieges“ vor. Das meiste davon gilt auch heute noch.

Weiterlesen

Im Übergang zur Multipolarität

Von Beate Landefeld

Der Aufstieg der USA zur Führungsmacht des Kapitalismus begann während des ersten Weltkriegs. Seinen Höhepunkt erreichte er nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Ergebnis des Siegs über den Hitlerfaschismus war zugleich die Herausbildung des sozialistischen Weltsystems. In den folgenden Jahrzehnten von Systemkonkurrenz, „Kaltem Krieg“ und Rüstungswettlauf festigte sich im Westen zunächst die US-Hegemonie ökonomisch, politisch, militärisch, ideologisch und kulturell. Die Bourgeoisien in Westeuropa profitierten nach Kriegsende, in der Rekonstruktions- und Nachholphase vom Handel mit den USA, von der Dollarbindung und dem Bretton-Woods-System. Die US-Konsumgesellschaft, der „American Way Of Life“ stieß auch in breiten Teilen der Bevölkerungen des Westens auf Akzeptanz und Resonanz.

Weiterlesen

“Finale Krise” – und was dann?

Manfred Sohn, Am Epochenbruch. Varianten und Endlichkeit des Kapitalismus. PapyRossa Köln 2014, 222 Seiten

Manfred Sohn untermauert mit dem Buch seine im Anschluss an Robert Kurz vertretene These, dass es sich bei der gegenwärtigen Krise um die „finale Krise des Kapitalismus“ handele, da dieser „zurzeit auf die nicht nur äußerliche, sondern innere, tief in seinen ökonomischen Stukturen liegende Schranke“ zulaufe, die er nicht mehr überwinden werde. (8) Etwa drei Viertel des Buchs beschäftigen sich in fünf Kapiteln zu den Themen „Geld“, „Kapitalismus“, „Krise“, „Minen“ und „Epochenbruch“ mit historischen und strukturellen Voraussetzungen für den prognostizierten, finalen Crash des Systems. Im letzten Viertel geht es um Alternativen und um die sozialen Träger einer Systemüberwindung. „Sozialismus“, „Einwände“ und „Pfadfinderinnen“ sind die Titel dieser Kapitel. Weiterlesen